Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl by Johnson Uwe

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl by Johnson Uwe

Autor:Johnson, Uwe [Johnson, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-01T04:00:00+00:00


21. Mai, 1968 Dienstag

Erst haben die französischen Kommunisten den Generalstreik weder kommen sehen noch unterstützt, nun wollen sie gleich ein Bündnis der gesamten Linken, ein wahrhaft republikanisches Regime, und auf dem Weg zum Sozialismus sehen sie es auch.

Die polnischen hingegen haben endlich herausgefunden, warum sie nicht verstanden werden von den Polen: die Schuld liegt bei den tschechoslowakischen. Wie die sich öffentlich befragen lassen über ihre Vorhaben, solch Beispiel kann doch nur schaden.

Die ostdeutschen haben sich in Schweden ertappen lassen mit vergrabenen Radiosendern und toten Briefkästen.

Die tschechoslowakischen haben immer noch Alexej N. Kossygin zu Besuch. In Prag helfen sie ein Stadtbüro für Panamerican Airways eröffnen, achtzehn Jahre nach der Schließung durch den Staatsstreich, nach zwei Jahren Verhandelns, und bis nach London darf der Flugpreis in Kronen entrichtet werden. In Karlsbad, in Karlovy Vary geht der sowjetische Ministerpräsident öffentlich spazieren und gebraucht das heilende Wasser.

Heute wollten wir Don Mauro die Kundschaft kündigen.

Don Mauro führt einen Laden am Broadway (in den letzten Wagen des Westseiten-Expreß einsteigen, den Bahnhof 96. Straße entgegen der Fahrtrichtung und ostwärts verlassen), das ist eine geringfügige Falle, gespickt mit Tabakwaren, Süßigkeiten, billigem Schreibzeug. Eine Reihe Telefonzellen mag noch Kunden locken, Zeitungen führt er nicht, auch nicht mit einer Sitzbank hat Don Mauro dafür gesorgt, daß die Kunden länger bleiben als der Tausch von Geld gegen Ware erfordert. Es ist ein Schuhkarton von einer Falle, sparsam abgeteilt vom benachbarten Geschäft, die träge kreisenden Ventilatorblätter scheinen luxuriöse Ausschmückung. In Wahrheit ist Don Mauro ein Pfeiler der puertorikanischen Gemeinde auf der Oberen Westseite von Manhattan, eine Zierde des Kirchenrates, eine Respektsperson für die Polizei, Vorsitzender des Bürgervereins, und wer immer eine Wahl gewinnen möchte in diesem Revier, er sollte nicht anfangen ohne Don Mauros guten Willen. Als Don Mauro ankam vor achtzehn Jahren von seiner Insel, konnte er eine Wohnung kaum erschwingen, Arbeit schwer finden, nur er fing es anders an als die Neger. Sie sagen, noch heute: So machen sie es eben mit uns; er begann unverzüglich mit der Meinung: Mit uns machen sie das nicht. Von Anfang an war Don Mauro mehr gleichberechtigt, mehr ein Bürger der U. S. A. als andere; da half ihm die hellere Hautfarbe seiner Familie, das »richtige Haar«. In diesem Laden fing Don Mauro an, bald erzog er hier den ersten Sohn im Umgang mit der Polizei und einfacher Buchführung; inzwischen bildet er schon Neffen aus für die Läden, die er ihnen aussuchen, einrichten, pachten wird. Die mögen noch Schutzgebühr zahlen müssen an die Hüter von Gesetz und Ordnung; bei Don Mauro müssen jene ihre Käufe bezahlen, eine einladend hingestreckte Zigarrenkiste ist bereits eine Ehrung. (Mehr als ein Stück pro Uniform ist nicht zu nehmen.) Don Mauro steht am fernen Ende der Theke, kaut von morgens bis abends auf dem gleichen kalten Stumpen, vielleicht die ganze Woche lang. Manchmal ruckt der Stumpen in Don Mauros Mundwinkel und verwandelt seine gedankenvolle Miene, als habe er etwas ausgespuckt, jedoch ist ihm etwas eingefallen. Er überwacht den Brudersohn an der Kasse, er zieht den auslaufenden Pachtvertrag der Wäscherei nebenan



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.