Jacques der Fatalist und sein Herr by Denis Diderot
Autor:Denis Diderot [Diderot, Denis]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Matthes und Seitz Verlag GmbH
veröffentlicht: 2013-11-22T23:00:00+00:00
Da Jacques auf einmal nicht weitersprach, sagte sein Meister: »Woran denkst du? Was tust du?«
JACQUES: Ich bete.
DER HERR: Du betest?
JACQUES: Bisweilen.
DER HERR: Und wie lautet dein Gebet?
JACQUES: Es lautet: »Du, der du die große Rolle gemacht hast, wer du auch seist, und dessen Finger alles geschrieben hat, was dort oben steht, du hast allzeit gewusst, was ich brauchte; dein Wille geschehe. Amen.«
DER HERR: Könntest du nicht ebenso gut den Mund halten?
JACQUES: Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich bete aufs Geratewohl; und was auch immer mir geschehen mag, ich würde mich darüber weder freuen noch beklagen, wenn ich mich denn beherrschen könnte; aber ich bin eben inkonsequent und aufbrausend, ich vergesse meine Prinzipien oder die Lehren meines Hauptmanns und lache und weine wie ein Dummkopf.
DER HERR: Hat denn dein Hauptmann nie gelacht oder geweint?
JACQUES: Selten… Jeanne brachte ihre Tochter eines Morgens zu mir; zuerst wandte sie sich an mich; sie sagte: »Monsieur, Sie sind hier in einem schönen Schloss, wo es Ihnen etwas besser ergehen wird als bei dem Arzt. Vor allem zu Anfang, oh! da wird man sich wunderbar um Sie kümmern; aber ich kenne die Bediensteten, ich gehöre lange genug dazu, allmählich wird ihr Eifer sich abkühlen. Die Herrschaft wird nicht mehr an Sie denken; und wenn Ihre Krankheit andauert, wird man Sie irgendwann vergessen, aber so gründlich vergessen, dass, falls Ihnen einfallen sollte, verhungern zu wollen, Ihnen das auch gelingen würde…« Dann drehte sie sich zu ihrer Tochter um: »Hör her, Denise«, sagte sie, »ich möchte, dass du viermal täglich nach diesem Herrn schaust: Morgens, zum Mittagessen, um fünf Uhr herum und zur Abendessenszeit. Gehorche ihm wie mir selbst. So, das wäre gesagt, und halte dich daran.«
DER HERR: Weißt du, was dem armen Desglands widerfahren ist?
JACQUES: Nein, Herr, aber wenn meine guten Wünsche für sein Wohlergehen nicht erhört worden sein sollten, dann kann es an mangelnder Aufrichtigkeit nicht liegen. Er schickte mich zu Kommandeur La Boulaye, der auf der Fahrt nach Malta umkam; Kommandeur La Boulaye schickte mich zu seinem älteren Bruder, dem Hauptmann, der mittlerweile vielleicht an seiner Fistel gestorben ist; der Hauptmann schickte mich zu seinem jüngeren Bruder, dem Oberstaatsanwalt von Toulouse, der verrückt wurde und den seine Familie einsperren ließ. Dieser Monsieur Pascal, Oberstaatsanwalt von Toulouse, schickte mich zum Comte de Tourville, der lieber seinen Bart unter einer Kapuzinerkutte wachsen ließ, als dass er sein Leben im Feld riskierte; der Comte de Tourville schickte mich zur Marquise de Belloy, die mit einem Ausländer nach London durchbrannte; die Marquise de Belloy schickte mich zu einem ihrer Cousins, der sein Vermögen mit Frauen durchbrachte und in die Karibik schipperte; dieser Cousin empfahl mich einem Monsieur Hérissant, von Beruf Wucherer, der das Geld von Monsieur de Rusai, Doktor an der Sorbonne, verlieh und mich bei Mademoiselle Isselin unterbrachte, die damals Sie aushielten, die mich bei Ihnen platzierte und der ich das Gnadenbrot meiner alten Tage verdanke, das Sie mir versprochen haben, falls ich bei Ihnen bleibe: Und wie es aussieht, trennen wir uns nicht. Jacques ist für Sie gemacht, und Sie sind für Jacques gemacht.
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