Ismaels Orangen by Hajaj Claire

Autor:Hajaj, Claire
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Verlag
veröffentlicht: 2015-02-04T16:00:00+00:00

3

Zeit der Abrechnung

Wer Unfrieden sät in seinem eigenen Haus, soll den Wind ernten, und der Narr soll des Weisen Diener sein.

Douai-Rheims-Bibel

Frieden ist wichtiger als Land.

Anwar as-Sadat, nach dem Jom-Kippur-Krieg,

vor der israelischen Knesset

1976

»Kann ich ein Eis haben? Du hast es versprochen! Nicht nur ein Hörnchen, ein großes Dhahab mit Nüssen.«

Am Ufer segelten die Vögel kreischend in der drückenden Hitze. Die Sonne in Kuwait steuerte grell leuchtend auf den Zenit zu; nicht der Hauch einer Brise erhob sich über dem ölglatten Wasser.

Jude kramte Kleingeld aus der Tasche. Selbst die Münzen sind heiß. Einmal hatte sie Marc gesagt, das Auto sei mittags so heiß, dass man Eier darauf braten könne. Als sie eine Stunde später nach draußen gekommen war, hatte sie ihn, eine Eierschale in der Hand, neben der Motorhaube stehen und zuschauen sehen, wie gerinnendes Eiweiß langsam auf den Asphalt tropfte.

»Einen Moment, Schatz«, sagte sie. »Daddy kommt gleich.«

»Daddy mag kein Eis«, verkündete Sophie feierlich und lehnte sich in den kümmerlichen Schatten, den der Rock ihrer Mutter warf. Marc stand breitbeinig vor Jude. Das Sonnenlicht tauchte sein Haar in ein blendendes Weiß. Lodernde blaue Augen blickten zu ihr auf, und seine Lippen waren missbilligend zusammengepresst. »Aber ich will jetzt ein Eis«, beharrte er streng. »Bevor Daddy kommt. Der sagt nämlich immer Nein.«

Jude wünschte, Salim möge sich beeilen. Am Morgen hatte er in seinem besten Anzug, mit Krawatte und besorgter Miene das Haus verlassen. Obwohl Jude mit ihm bangte, wünschte sie sich verzweifelt, dass seine Mission scheitern möge. Denn in diesem Fall würden sie endlich nach Hause zurückkehren können.

Sie bückte sich und kniff Marc ins Kinn. Für seine sechs Jahre war er gleichzeitig alt und jung. Sophie, die Ältere der Zwillinge, war das Ebenbild ihrer Mutter, nur mit mediterranem Teint. Sie hatte dunkle Haut und mandelförmige Augen und war ein ruhiges, ordentliches, freundliches und liebenswertes Kind.

Doch Marc – der Himmel wusste, wo sie Marc gefunden hatten, pflegte Salim zu sagen. Salim nahm sich Marcs Dickkopf und seine Blässe zu Herzen, fast als handle es sich dabei um einen persönlichen Affront. Jude verstand seine Zweifel und seine Ablehnung. Deine arabischen Freunde hier trauen deiner blonden Frau schon jetzt nicht über den Weg. Und jetzt sehen sie deinen weißen Sohn und fragen sich, wer wohl der Vater ist.

Jude fand Marcs Hautfarbe wunderschön, doch die Gefühle, die in ihm brodelten, bereiteten ihr Sorge. Die Gedanken ihres kleinen Jungen erinnerten an aufgeregt umherflatternde Vögel. Er konnte nicht stillsitzen und schoss mit derselben ungebremsten Geschwindigkeit durch die Gefühlswelt anderer wie die ausgehungerten Möwen über den Persischen Golf hinter ihr.

»Hab Geduld, Schatz«, sagte sie. »Wir sollen hier warten, bis Daddy kommt und uns von seinem Job erzählt, weißt du noch?« Marc senkte den Blick und stieß die Fußspitze in den Boden. Jude hörte, dass Sophie hinter ihr zu jubeln begann. »Daddy!« Mit klopfendem Herzen richtete sie sich auf.

Salim strahlte, kniete sich auf den staubigen Boden und breitete für Sophie die Arme aus. Sie stürzte sich hinein, worauf er sie über seine Schulter warf, sodass sie kichernd mit den Beinen strampelte.

Jude nahm Marcs Hand und lief ihm entgegen.

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