Irrlichterloh - Roman by Arno Geiger

Irrlichterloh - Roman by Arno Geiger

Autor:Arno Geiger
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kunst, Liebe, Reise, Stadt
ISBN: 978-3-446-26160-0
Herausgeber: Carl Hanser Verlag Muenchen
veröffentlicht: 2018-07-09T16:00:00+00:00


18

Eine verrückte Idee, ausgerechnet ein Strandbad als Treffpunkt zu wählen. Da sieht man es, mir macht es sogar Spaß, mich selber zu ärgern. Bis zu einem gewissen Grad relativiert das auch meine Gründe, derentwegen ich dieses Bild kaufen will. Ich bin und bleibe eine Freibeuterin auf den sieben Weltmeeren der Träume und Schäume. Voilà, hier bin ich richtig, mein Metier. Ich höre die Brandung und das Ticketacke. Nur diese Hitze, sie ist ein Abgrund. Nicht genug, daß sie alt macht, ihre abscheuliche Viskosität verklebt den Verstand, verklebt, igitt, wie Pechmarie möchte man herumlaufen, erniedrigt, mit seitwärts weggestreckten Armen, O-beinig, im Bewußtsein, durch und durch schlecht zu sein. Ich erinnere mich an die Geschichte vom Blut des Nessos, vom Gewand, das an der Haut klebenbleibt. Ha! daß ich nicht lache oder verzweifle vor lauter Unsinn! Ein Liebeszauber? Ein tiefer Irrtum, meine liebe Deianira. Teufelsgold. Ein Verderben, ein unappetitliches, stinkendes Verderben. Überall Fliegen, kochende Scheiße. Eine vergiftete Atmosphäre. Mich ekelt davor. Heute früh hatte ich Anwandlungen, den Tag im Ozeaneum bei den Pinguinen zu verbringen. O Constantin, Constantin Constantin! Geliebter! Wo bist du, mein bester Wind in den Segeln? Mein ein und mein alles. Mein Blindenhund. Mein Talent für das Leben. Daß du Humor hattest, habe ich an dir vor allem anderen geschätzt, auch deinen Sinn für das Praktische: der Frau zur Hochzeit eine Eintrittskarte auf Lebenszeit für das Ozeaneum zu schenken. Mein Dasein, Constantin, wenn du nicht vorgesorgt hättest, wäre eine Wüste, in der man nicht einmal sterben wollte. Ich hasse diese Hitze. Täglich hasse ich sie mehr.

Ira Constantin nimmt einen großen schwarzen Hut vom Beifahrersitz, stülpt ihn sorgfältig über ihre Frisur. Sie hebt den Hund hoch. Dann stöckelt sie schwungvoll, beinahe hastig in der aufdringlichen Luft zum Eingang. Sie bemerkt nicht, daß die Kasse unbesetzt ist. Sie glöckelt einfach mit ihrem Hintern durch das Drehkreuz, ohne im Schritt zu stocken. Wozu auch? Sie ist in Eile, und sie weiß, was sie zu wissen braucht. Vor allen Dingen weiß sie, daß ihre Welt so beschaffen ist, daß es einige Dutzend Plätze gibt, die derzeit in der thermischen Komfortzone liegen und dank der Segnungen moderner Zivilisation bis zum Abend erreichbar sind, erreichbar wären, wenn sie, Ira Constantin, nicht auch anderweitig Gefahr liefe, daß ihr Leben an Frische verliert, daß es ausraucht, abstumpft, daß es wird, was es von selbst immer ist, haltlose Monotonie.

Es ist wenig, was Ira Constantin veranlaßt, überhaupt hier zu sein. Aber das wenige, dieses Bild und die jungen Leute, ist immer noch halb so langweilig wie das Lesen von Kunstkatalogen. Bei diesem Bild, dem Rauchenden Mädchen, das sie für ihre Sammlung will, ist sie sich in der Beurteilung immerhin sicher: fraglos eine Fälschung. Sie sammelt Fälschungen. Und was die jungen Leute anlangt, so sind sie immer unterhaltsam mit ihrem unerschütterlichen Glauben, den Faden ihres Lebens in der Hand zu halten. Denn in Wahrheit haben sie keine Ahnung, halten links und rechts nicht auseinander und kommen nie an, wo sie hinwollen. Mag sein, daß manche ihre Pläne mit der Wirklichkeit auf gleich bringen, indem sie diese Pläne laufend revidieren.



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