Irgendwann fuer immer by Katja Millay

Irgendwann fuer immer by Katja Millay

Autor:Katja Millay [Millay, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783401069975
Google: HEa9oAEACAAJ
Herausgeber: Arena Verlag GmbH
veröffentlicht: 2014-08-14T22:00:00+00:00


Kapitel 31

Josh

Mein Großvater ist heute Morgen gestorben. Und nichts hat sich verändert.

Ich dachte, wenn er stirbt, würde ich einen Nervenzusammenbruch erleiden, heulen, mich besaufen und Sachen durch die Gegen schmeißen, weil dann alles vorbei wäre. Weil er als Letzter noch übrig war. Aber das ist nicht passiert. Ich bin nicht zusammengebrochen. Ich habe keine Löcher in die Wand geboxt. Ich habe mit keinem einzigen der Arschlöcher in der Schule Streit vom Zaun gebrochen. Ich habe einfach weitergemacht, als wäre nichts geschehen. Weil das alles so unfassbar normal war.

»Wo fahren wir hin?«, fragt Sonnenschein, als sie in meinen Wagen steigt. Mir ist heute nicht danach, hierzubleiben. Heute hat mir die Garage nichts zu bieten. Diese Werkstatt ist das Einzige auf dieser Welt, worauf ich mich verlassen kann, und ich ertrage das Gefühl einfach nicht, dass sie im Moment nichts für mich tun kann. Daher verlasse ich sie lieber für eine Weile, um sicherzustellen, dass ich sie nicht auch noch verliere. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wo wir hinfahren. Ich will bloß weg von hier.

Lange fahren wir einfach nur so dahin. Seit wir eingestiegen sind, habe ich noch kein Wort gesagt. Ich habe nicht mal ihre Frage beantwortet. Sonnenschein macht die Stille nichts aus. Sie lehnt den Kopf gegen das Fenster, sieht nach draußen und lässt mich in Ruhe.

Irgendwann liegen wir nebeneinander auf der Ladefläche meines Trucks und starren vom Parkplatz eines ehemaligen Autohauses in den Himmel hinauf.

Bis jetzt habe ich noch nicht angefangen zu zählen. Ich frage mich, ob ich der Einzige bin oder ob alle anderen es auch so machen: Jedes Mal wenn jemand gestorben ist, fange ich an zu zählen, wie viel Zeit seit dessen Tod vergangen ist. Erst zählst du die Minuten, dann die Stunden. Dann zählst du die Tage, die Wochen, die Monate. Bis du eines Tages bemerkst, dass du aufgehört hast zu zählen, ohne dass du weißt, wann. Das ist der Augenblick, in dem derjenige endgültig gegangen ist.

»Mein Großvater ist tot«, sage ich.

»Wenn wir ein Teleskop hätten, könnte ich dir das Mare Tranquillitatis zeigen, das Meer der Ruhe.« Sie deutet zum Himmel hinauf. »Siehst du? Da oben auf dem Mond. Von hier aus kann man es fast nicht erkennen.«

»Hast du deshalb ein Bild vom Mond in deinem Spind?« Mittlerweile verstehe ich es meisterhaft, mich auf ihre Abschweifungen einzulassen.

»Das ist dir aufgefallen?«

»Sonst hängt da ja nichts. Ich dachte, du wärst so ein Astronomiefreak.«

»Bin ich nicht. Ich habe es nur aufgehängt, um mich daran zu erinnern, dass es Bockmist ist. Für mich klang dieser Name immer nach einem wunderschönen, friedlichen Ort. So, als würde man gerne zum Sterben dorthin gehen. Alles ist ruhig und man sieht nichts als Wasser. Ein Ort, der dich bedingungslos aufnimmt und akzeptiert. Ich habe mir das alles ausgemalt wie ein wunderschönes Bild.«

»Klingt, als gäbe es schlechtere Orte.«

»Mag sein, nur entspricht leider nichts davon der Realität. Es ist nicht mal ein Meer. Bloß ein großer dunkler Schatten auf dem Mond. Der ganze Name ist eine Lüge. Er bedeutet rein gar nichts.«

Ihre linke Hand liegt auf ihrem Bauch, öffnet und schließt sich.



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