Intrige by Harris Robert

Intrige by Harris Robert

Autor:Harris, Robert [Harris, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi, azw3
veröffentlicht: 2013-10-28T16:00:00+00:00


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Die Atempause ist kurz. Am Montag bringt L’Éclair einen zweiten, längeren Artikel. Die Überschrift könnte von meinem Standpunkt aus nicht schlimmer sein: »Der Verräter: Das Dossier beweist Dreyfus’ Schuld«.

Mir ist schon übel, als ich mich mit der Zeitung an meinen Schreibtisch setze. Der Artikel strotzt vor Unwahrheiten, enthält aber einige aufschlussreiche Details: dass das Geheimdossier den Richtern in ihrem Beratungszimmer übergeben wurde; dass das Dossier vertrauliche Briefe enthielt, die der deutsche und der italienische Militärattaché miteinander wechselten; dass sich einer der Briefe ausdrücklich auf, wie es heißt, diese Bestie Dreyfus bezog – die Wendung »dieser Lump D« taucht in dem Artikel jedoch nicht wörtlich auf. »Es war dieser unwiderlegbare Beweis, der für das Urteil der Richter ausschlaggebend war« schließt der Artikel.

Ich trommle mit den Fingern auf die Tischplatte. Wer liefert all diese Einzelheiten? Guénée behauptet, die Familie Dreyfus. Ich bin mir da nicht so sicher. Wer profitiert von diesen Enthüllungen? Aus meiner Sicht sind die offensichtlichsten Profiteure die, die eine Wagenburgmentalität innerhalb des Kriegsministeriums schaffen und meine Nachforschungen über Esterházy beschneiden wollen. Es ist die Wendung »diese Bestie Dreyfus«, die mich an etwas erinnert. Hat das du Paty nicht immer von Dreyfus behauptet: dass er von animalischen Trieben gesteuert sei?

Ich nehme eine Schere und schneide den Artikel sorgfältig aus. Dann schreibe ich einen Brief an Gonse, der immer noch im Urlaub ist. »Neulich habe ich mir die Freiheit genommen, Ihnen meine Auffassung mitzuteilen, dass wir in ernste Schwierigkeiten geraten könnten, wenn wir nicht selbst die Initiative ergreifen. Der beigefügte Artikel aus L’Éclair betätigt leider meine Auffassung. Ich fühle mich verpflichtet, noch einmal zu betonen, dass es unerlässlich ist, ohne Verzug zu handeln. Wenn wir noch länger warten, wird uns die Entwicklung überrollen und in eine aussichtslose Lage bringen. Es wird uns nicht mehr möglich sein, uns entweder selbst zu verteidigen oder die Wahrheit herauszufinden.«

Ich zögere, bevor ich den Brief abschicke. Ich gebe damit offiziell meine Meinung zu Protokoll. Gonse ist ein mustergültiger Soldat, vielleicht nicht auf dem Schlachtfeld, aber sicherlich auf dem Feld der Aktenablage. Er wird den Brief als das erkennen, was er ist: als Eskalation der Feindseligkeiten.

Ich schicke ihn trotzdem ab.

Am nächsten Tag zitiert er mich zu sich. Er hat seinen Urlaub abgebrochen und ist wieder in seinem Büro. Ich kann seine Panik auf zweihundert Meter spüren.

Auf den Fluren des Kriegsministeriums geht es ruhiger zu als sonst. Billot und Boisdeffre begleiten Präsident Fauré auf dessen Inspektionsreise zu den Herbstmanövern in den Südwesten des Landes. Die meisten Offiziere des Generalstabs mit Karriereambitionen – und das sind fast alle – haben dafür gesorgt, im Felde zu sein. Die leeren, hallenden Flure erinnern mich an die Atmosphäre der Verräterhatz vor zwei Jahren.

»Ich habe Ihren Brief bekommen«, sagt Gonse und wedelt damit herum, als ich mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch setze. »Glauben Sie nicht, ich hätte kein Verständnis für Ihren Standpunkt. Wenn ich die Uhr zum Anfang dieser verdammten Geschichte zurückdrehen könnte, dann wäre ich Ihrer Meinung, das können Sie mir glauben. Zigarette?« Er schiebt mir die Schachtel zu. Ich hebe ablehnend die Hand.



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