Ingeborg Bachmanns Wien 1946–1953 by Joseph McVeigh
Autor:Joseph McVeigh [McVeigh, Joseph]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2016-01-12T16:00:00+00:00
»Du setzt mich immer wieder in Erstaunen. Nicht genug, daß man das Gefühl hat, du habest das Penicillin erfunden, die Zukunft des Boxsports auf dem Gewissen, die portugiesische Lyrik für das Abendland gerettet – nein, du mußt auch noch Bilder auf ihren Form- und Farbwert prüfen – daß ich mir wie ein Barbar daneben vorkomme.« (RF, 15)
Bei seinen Experimenten und Wanderungen durch die Wissensgebiete ist Guido der Erfolg nicht so wichtig wie die Möglichkeit, etwas Neues zu erleben und hervorzubringen: »[A]ber das ist doch das Österreichische in mir, daß mir das Mögliche höher steht als das Wirkliche und ich spiele eben immer mit Möglichkeiten« (RF, 393). Trotz seiner vielen Fehlversuche stellt sich die Familie, wenn auch skeptisch, solidarisch hinter ihn, denn »es gibt ihm doch ein bisserl Hoffnung. Und Hoffnung braucht schließlich jeder Mensch« (RF, 28).
Mit diesem Bild familiären Zusammenhalts realisierte Bachmann auf metaphorischer Ebene die erwünschte Versöhnung mit der politischen Vergangenheit ihres Vaters. Auf diese Weise nutzte sie in der Radiofamilie das therapeutische Potential der literarischen Fiktion, um die »Unmöglichkeit einer Äquivalenz«208 zwischen Traum und Leben, die im Mittelpunkt des Hörspiels Ein Geschäft mit Träumen steht, weitgehend zu überwinden. Mit der fiktiven Idylle der Radiofamilie vermochte sie in den kritischen Jahren 1952 und 1953, ihre Dämonen mehr oder weniger erfolgreich in Schach zu halten, bis sie von den realen Umständen und Erfahrungen eingeholt und zerstört wurde. Im weiteren Verlauf der fünfziger Jahre trat in ihrem Werk immer deutlicher ein »Riß in der Persönlichkeit«209 hervor und drängte die schönen Illusionen der Radiofamilie immer weiter zurück, während die Angstanfälle und Alpträume, wie sie den Roman Malina durchziehen, immer mehr Platz einnahmen.
Dass sich Bachmann in der Sendereihe unter anderem mit essentiellen autobiographischen Themen befasste, kann aber auch als Zeichen eines zunehmenden künstlerischen Selbstvertrauens gewertet werden, das allmählich den Wunsch in ihr aufkeimen ließ, die Arbeit für den Sender zu beenden und den Schritt ins ungewisse Leben als freie Schriftstellerin zu wagen. Die Auszeichnung mit dem Preis der Gruppe 47 im Mai 1953 bestärkte sie zweifellos in diesem Vorhaben. Entscheidend waren jedoch andere Faktoren, die zu einem grundlegenden Wandel im künstlerischen Selbstverständnis der Autorin beitrugen und den heiter-optimistischen Ton der Radiofamilie endgültig verstummen ließen.
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