Indigo (German Edition) by Clemens J. Setz
Autor:Clemens J. Setz [Setz, Clemens J.]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG (com)
veröffentlicht: 2012-09-09T22:00:00+00:00
TEIL III
This was placed here on the fourth of June, 1897 Jubilee year, by the Plasterers working on the job hoping when this is found that the Plasterers Association may still be flourishing. Please let us know in the Other World when you get this, so as we can drink Your Health.
(Zeitkapsel-Nachricht in einer Wand der Tate Britain,
durch Zufall entdeckt im Jahr 1985)
Als damals das erste Kind geboren wurde, habe das Leben plötzlich einen Sinn bekommen, sagte Herbert Rauber, der Vater von Marianne Tätzel. Und jetzt, wo ein Enkelkind, Robert, da sei, habe auch das Sterben für ihn einen Sinn bekommen. Denn was sonst sei die Aufgabe eines GroÃvaters oder einer GroÃmutter, als einem jungen Menschen vorzusterben, so ähnlich wie ein Klavierlehrer seinem Schüler ein Stück vorspielt? Note für Note werde ihm nähergebracht, sowohl die kleinen Nuancen und Ãbergänge als auch die groÃe Einheit der Melodie würden veranschaulicht, die Bedeutung, die Einordnung, das MaÃ. Man zeige ihm vor, dass es das gebe, dass dies Teil jedes Lebens sei: der Zerfall in Einzelteile. Wer vier GroÃeltern habe, so Herr Rauber, der lerne auch vier Tode kennen. Die vier müssten sterben, damit es ihn, den Jungen, Neuen, geben und damit er weiter hier sein könne. Also leben und sterben sie ihm vor, so gut sie eben können. Sie verhielten sich ihm gegenüber freundlich, seien meist unbedingter und bedingungsloser in ihrer Liebe zu ihm als die Eltern, ihre erzieherischen Aufgaben seien ja nur ein Spiel, eine onkelhafte Heiterkeit umgebe jeden Konflikt â und so blieben sie ihm im Gedächtnis. Und das Enkelkind lerne schon in jungen Jahren (der einzigen Zeit, in der man diese Erkenntnis noch ertrage), dass so etwas möglich und notwendig sei: eine Nachwelt, in der der tote Mensch noch immer weiterexistiert, hochgehalten wird wie eine Handpuppe, zusammengenäht aus den Erinnerungsfetzen im Gedächtnis der Leute, die ihn gekannt haben. Im besten Fall sterbe man dem Enkelkind nicht nur vor, sondern man zeige ihm gleichzeitig, wie wenig schlimm dieser letzte Akt sei, kein Anlass zu echter Verzweiflung. Und das sei bestimmt die nobelste und sinnvollste Tätigkeit, die man im hohen Alter verrichten könne. An dem Tag, da das erste Enkelkind geboren werde, wisse man, dass man sich in Zukunft Mühe geben werde, ja, man werde sich zusammenreiÃen, gutzu sterben, ohne groÃes Aufsehen, so friedlich und schmerzlos, wie es einem vergönnt sein werde, so versöhnt und lebenssatt und reif, wie es der eigene Schauspielinstinkt zulasse. Wer kein Enkelkind habe, für das er sterben könne, sei zu bedauern; für ihn gebe es keinen Trost. Denn er werde elendiglich im luftleeren Raum verrecken, ängstlich, hilflos und von allen Seiten bedrängt von dem Gefühl, dass er auf dieser Erde noch so viel zu erledigen gehabt hätte. Kein Enkelkind zu haben, sagte Herr Rauber, sei das schlimmste Defizit, das man als Mensch erleiden könne. Und der Tod eines Enkelkindes sei von allen Dingen, die im Universum geschehen, das widernatürlichste. Auch sei es ihm damals als himmelschreiendes Unrecht erschienen, als es geheiÃen habe, Robert solle in dieses neue Schulprojekt eingegliedert werden.
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