In Brasilien geht's ohne Textilien - ein Deutscher in Rio de Janeiro by Heyne

In Brasilien geht's ohne Textilien - ein Deutscher in Rio de Janeiro by Heyne

Autor:Heyne
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2012-11-30T05:00:00+00:00


Drei Chancen für Flamengo

»Wie? In Deutschland habt ihr keinen Radiosender, der den ganzen Tag Fußball bringt?«, fragte Carlos ungläubig.

»Nein, am Wochenende gibt es die Bundesligakonferenz, aber die dauert nur zwei Stunden oder so.«

»Schon komisch irgendwie.«

Carlos und ich saßen in seinem Wagen auf dem Weg zum Spiel. Das Autoradio plärrte laut. Die Stimme eines aufgeregten Reporters bereitete ganz Rio de Janeiro auf das heutige Spiel vor. Sonntag ist Fußballtag in Brasilien. Radiosender räumen dafür ihr Programm frei und berichten Stunden vor, während und nach dem Spiel über das Ereignis.

Rio ist in Sachen Fußballclubs bestens ausgestattet. Flamengo, Botafogo, Fluminense, Vasco da Gama. Alle vier spielen in der ersten Liga. Doch kein Verein in Brasilien hat mehr Mitglieder als Flamengo.

»In Brasilien geht nichts über Flamengo«, sagte Carlos. So sieht er das: kein anderer Club und auch sonst nichts. Seine Verehrung weist beinahe religiöse Züge auf. Schon als Kind ist er mit seinem Vater ins Stadion gegangen, und noch heute verpasst er kaum ein Spiel. Sobald sein Sohn groß genug ist, wird er ihn mitnehmen. Carlos ist Anfang vierzig, groß und breit mit schwarzen Locken, die ihm über die Ohren fallen, und eigentlich sehe ich ihn meist in Shorts, T-Shirt und Turnschuhen. Wir haben uns über gemeinsame Bekannte kennengelernt und sind schnell Freunde geworden. Meistens schaut er sehr ernst und nachdenklich. Doch wenn Flamengo ein Tor schießt, lacht er wie ein Kind und klatscht in die Hände wie Angela Merkel. Etwas unbeholfen und mit gespreizten Fingern.

Wir fuhren Richtung Norden stadtauswärts zum Engenhão-Stadion. Es waren weit über 30 Grad, die Sonne ging gerade unter und verwandelte die Nordzone Rios in einen abgedunkelten Hochofen. Wir hatten die Fenster heruntergelassen und genossen den kühlen Fahrtwind. Je näher wir dem Stadion kamen, desto ärmlicher wurde die Gegend und immer größer das Gedränge. Fast alle trugen rot-schwarze Trikots. Hier ging nichts ohne Textilien – das T-Shirt in den Vereinsfarben anzuziehen war für die meisten Ehrensache. In meinen normalen Klamotten fühlte ich mich irgendwie deplatziert. Das Gros der Leute strebte offenbar dem Stadion zu, andere würden sich das Spiel in den Kneipen ansehen, in denen bereits der Fernseher lief. Vorerst aber saßen diese Fans noch draußen auf den Plastikstühlen und tranken eiskaltes Bier.

Wir bogen ab nach rechts, das Stadion bereits in Sichtweite. Am rechten und linken Straßenrand sowie auf dem Mittelstreifen boten Männer wild gestikulierend Parkplätze an. Jedes Mal, wenn Flamengo spielte, lohnte sich das offenbar für die Anwohner. Wir zogen allerdings das Parkhaus unter dem Stadion vor, ließen uns in einem rot-schwarzen Menschenmeer zum Eingang treiben, aßen noch schnell einen Fleischspieß, tranken ein Bier und gingen rein. Ich war zum ersten Mal in einem brasilianischen Fußballstadion. Zum ersten Mal bei Flamengo. Und ahnte nicht, dass ich drei Anläufe brauchen würde, um mit Flamengo halbwegs warm zu werden.

»Für welchen Verein bist du eigentlich?« Carlos hatte mich das gefragt, als wir uns kennenlernten, und er war nicht der Einzige, der das wissen wollte. Jedes Mal brachte mich diese Frage in die Bredouille. Dass man sich zwar ganz gerne mal ein Spiel



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.