Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) by Susanne Schädlich

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) by Susanne Schädlich

Autor:Susanne Schädlich [Schädlich, Susanne]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426558584
Herausgeber: Knaur eBook


7

Ich blättere in den Akten, lese, blättere zurück. Im Arbeitszimmer auf dem Fußboden, auf dem Schreibtisch, im Wohnzimmer auf dem Sofatisch, auf dem Sofa, überall graue Ordner. Selbst im Schlafzimmer liegen sie, manche aufgeschlagen, manche geschlossen bis zum nächsten Blick. Gelbe Haftzettel ragen heraus, damit ich mich nicht verzettele. Es ist ein Kampf, nicht nur mit den Akten, sondern auch ein Kampf mit der Sprache, dem Duktus, dem ich mich widersetzen muss. Von wegen, Papier kann einem nichts antun. Es ist die Reduzierung der Personen auf die Sache, die mir zu schaffen macht. Als sei es nie um Schicksale gegangen, sondern um Dinge. Um zu erledigende Dinge.

Ereignisse unseres Lebens, die so aufgeschrieben wurden, als sei über etwas geschrieben worden. Wenn das Fremde lesen, Jüngere, Unwissende, oder auch solche, die es nicht anders sehen wollen, hat es fast nichts Erschreckendes. Kein Wunder also, dass es immer wieder heißt, war doch alles halb so schlimm, den Leuten ging es gut, die DDR war doch eher eine »kommode Diktatur«, in der man sich einrichten konnte. Diejenigen aber, die das Wort in die Tat zurückübersetzen können, denen sitzt der Schrecken nochmals in den Gliedern.

Ich tue mich schwer bei dem Gedanken, dass die, die dahinterstecken, mit dem, was sie getan haben, ruhig schlafen können.

Hätte aus dem Onkel etwas anderes werden können als das, was er wurde? frage ich mich. Wieder der Konjunktiv. Ich halte mich lieber an die Tatsachen. Möchte noch einmal wissen, was war. Vielleicht hilft das. Dämonen wird man nur los, wenn man ihnen entgegentritt. Der Onkel soll unser Dämon nicht mehr sein.

Als ich ihn kennenlernte, will sagen, bewusst wahrnahm, war er schon kein Oberschullehrer mehr, sondern längst wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften und schon lange Jahre Mitglied der SED. Er sah aus wie ein Bonvivant, und er lebte wie einer. Er liebte ein ungezwungenes Leben, er liebte Frauen. Er liebte Großbritannien und Jazz. Ihn faszinierte die Fotografie. In seiner Wohnung besaß er ein kleines Fotolabor. Er umgab sich mit außergewöhnlichen Menschen. Er verkehrte im Hause Robert Havemanns. Ich lese: »Sch. ist bemüht, den Kontakt zu H. zu festigen. Er verbrachte im Zeitraum Sept. 73 /Jan. 74 mindestens 1 Wochenende monatlich im Hause des H. in Grünheide.« Über die Jahre festigte sich der Kontakt, sie waren per du.

Lilo Fuchs hat ihn auch getroffen, als sie dort wohnten, 1976, bevor Jürgen verhaftet, bevor Havemann unter Hausarrest gestellt und Grünheide abgeriegelt wurde. »Der Bruder deines Vaters ist immer wieder mal dort aufgetaucht. Der kam dahin als Interessierter und im Auftrag zu hören, wer dort ein und aus ging. Mit dem Namen Schädlich war er aufgenommen«, erzählt Lilo. Entweder so oder aus Erzählungen anderer sammelte der Onkel Wissen und verriet es. So erfuhr das MfS, dass »der Lyriker Jürgen Fuchs […] mit seiner Familie ständig in einem Bungalow auf dem Grundstück Havemanns wohnt« und »der Lyriker Pannach, der angab, gegenwärtig Aufnahmen im Tonbandstudio von Biermann zu machen«, sich bei Havemanns aufhielt.

Der Onkel pflegte Bekanntschaften mit Schriftstellerinnen wie Christa Wolf und Monika Maron, mit der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger.



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