Im ersten Augenblick. Roman by Grégoire Delacourt

Im ersten Augenblick. Roman by Grégoire Delacourt

Autor:Grégoire Delacourt [Delacourt, Grégoire]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Frauenromane
ISBN: 9783455170023
Herausgeber: Atlantik
veröffentlicht: 2014-01-28T16:00:00+00:00


Jeanine Foucamprez griff nach der Decke, die auf den Boden gerutscht war, und deckte den Körper des Autoschlossers damit zu, so sanft, wie es Mütter tun, sie erschauerte bei dem Gedanken daran, dass ihre Mutter sie nie mehr umarmt oder gewärmt hatte, seit sie neun Jahre alt gewesen war, seit der Badewanne und dem Fotografenschwein. Dass sie nie mehr in ihren Armen geweint hatte, nie mehr ein kleines Mädchen gewesen war.

Sie setzte Wasser für den Ricoré auf (sie hatten noch keinen Kaffee gekauft, noch keinen Einkauf gemacht, wie man es tut, wenn man zu zweit in einem Haus lebt), sie tunkte zwei Zwiebäcke ein (ohne Butter und Konfitüre, aus besagtem Grund und weil ein zwanzigjähriger Junge, der allein lebt, nicht unbedingt sein eigener bester kulinarischer Freund ist).

Dann schaute sie ihn an.

Seit dem Tag, an dem der Milchtank auf der Autobahn A16 umgekippt war, sie weiß färbte und den Busfahrer der Pronuptia-Tournee zu einem Umweg zwang, der sie nach Long, zu ihrem Schicksal führte, war Jeanine Foucamprez in ihn verliebt und sehnte sich nach dem Lachen des Kindes.

Von der Sekunde an, als sie ihn sah, liebte sie einfach alles an ihm. Seinen Gang, seinen linkischen Körper in der flatternden Latzhose, seine Hände, schwarz von Öl, als trüge er glänzende Lederhandschuhe, seine, so schien ihr, mächtigen Hände (er war nicht von ungefähr der Sohn des wildernden Forstbeamten, des illegalen Anglers); sein schönes Gesicht, so schön, manchmal fast feminin, ohne jeden Hauch von Arroganz: er schien nicht einmal zu wissen, dass er schön war, so arglos war er. Ja, sie hatte sich blöd gefühlt an dem Tag, wie ein kleines Mädchen, das am hinterletzten Ende der Welt gelandet war (zur Erinnerung: Long, 687 Einwohner, Gemeinde in der Pikardie, 9,19 Quadratkilometer, Kreis Crécy-en-Ponthieu, wo am 26. August 1346 die berühmte Schlacht von Crécy stattfand, ein wahres Gemetzel, Tausende französische Tote unter dem Pfeilhagel der Bogenschützen von Eduard III. – und das ist ungefähr alles), diese Endstation wo sie, mit ein bisschen Glück, endlich mit einem Netten (einem echten, und das Lachen des Kindes gab ihm diesen Segen) verschwinden konnte. Mit dem sie Scarlett Johansson, die Grausamkeit der Männer, die Feigheit der Männer, die schmutzigen Angebote vergessen konnte.

Vergessen wollte sie den durch das Objektiv des Fotoapparates zerstückelten Körper des Kindes. Die Schamlosigkeit. Die Großaufnahmen. Das Geschlecht, den ganz feinen Einschnitt, wie ein Haar. Den Verrat derer, die sie lieben sollten. Das Im-Stich-lassen, den Schrecken. Ich habe dich all die Jahre gehasst, Mama. Ich habe dein Schweigen gehasst. Es ließ mich erbrechen. Mir in die Haut schneiden. Mir wehtun. Ich stach mir Nadeln in die Lippen. Ich wollte mich zum Schweigen bringen. Wie dich. Ich habe gebetet, dass er dich für tausend Schlampen meines Alters verlässt. Ich wünschte, du wärest tot. Allein. Du wärest hässlich und würdest nach Schmalz stinken. Sag mir, dass du mich liebst, Mama, wenigstens ein bisschen. Sag mir, dass ich sauber bin. Dass ich ein schönes Leben haben werde. Hier, nimm meine Hände. Sieh mal. Ich habe Walzer, Polka, Carmagnole gelernt, Mama, ich kann es dir beibringen.



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