Im Wald by Marcel Möring
Autor:Marcel Möring [Möring, Marcel]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand
veröffentlicht: 2014-03-09T23:00:00+00:00
VIELLEICHT WAR ICH so ungebührlich glücklich, weil wir einander zweimal verloren hatten.
Es war an einem frühen Samstagmorgen, als wir uns zum ersten Mal seit Jahren wiedersahen. Am 28. Juni 1980. Wir hatten unser alljährliches Fest auf dem Innenhof hinter Kats Haus, und ich war in einem Anfall von Verzweiflung weggegangen. Später hatte ich Albert in der Stadt getroffen und noch später Chaja. Am Ende jener Nacht gingen wir zu dritt im grauen Morgenlicht zu Kat zurück. Die Müdigkeit der durchwachten Nacht lag wie eine Decke über uns, und als wir zu Kats Haus kamen, wirkte die Luft wie Sirup.
Kat hatte uns die Tür geöffnet wie eine Vision altmodischer holländischer Properkeit. Sie trug eine Schürze, ihre Hände waren rot vom Abwaschen, und ihr strähniges Haar wurde von einem Bandana zusammengehalten.
»Herrje, Kat«, sagte Albert. »Du siehst verdammt noch mal wie meine Mutter aus.«
Sie hatte ihn mit einem dünnen Lächeln bedacht.
»Albert«, sagte sie. »Hast du auch nur die leiseste Vorstellung, was für eine unglaubliche Sauerei das hier war?«
In der Küche roch es nach Scheuermittel, Chlor und grüner Seife. Langsam trocknende feuchte Stellen in den Ecken verrieten, dass Kat den Fußboden geschrubbt hatte. Sie musste die halbe Nacht geschuftet haben, um die Spuren des Festes zu tilgen, das hier vor zwölf Stunden begonnen hatte. Unser alljährliches Fest. Eine Mischung aus Klassentreffen und ausgedehnter Abschiedszeremonie und zugleich unser Versuch, den nächtlichen Festivitäten anlässlich des Motorradrennens zu entgehen, das am Tag darauf in der Stadt veranstaltet wurde.
Kat hatte die Schürze abgelegt und Kaffee aufgesetzt. Chaja, Albert und ich schauten auf ihren Rücken und schwiegen, während Kat die Kanne unter den Wasserhahn hielt und Kaffee in den Filter gab. Nach einer Weile war das Brodeln des durchlaufenden Kaffees zu hören. Die ersten vorsichtigen Düfte verbreiteten sich in der Küche. Kat stellte uns Becher hin und drehte sich wieder um. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute auf die Kaffeemaschine. Draußen, auf dem Innenhof, wurde es heller. Die Girlanden und die Beleuchtung, die wir am Abend aufgehängt hatten, waren bereits abgenommen.
Albert berichtete von unserem Streifzug durch die Nacht, Kat goss Kaffee ein und setzte sich zu uns an den Tisch. Chaja wärmte sich die Hände am Becher. Ich lauschte der Stimme meines besten Freundes, nahm Kats ernsten Blick wahr, während sie zuhörte, und schaute zu Chaja, die die Augen geschlossen hatte und die Ruhe und Stille der Küche in sich aufzunehmen schien.
Ich hatte keine Angst mehr, sie zu verlieren, die Angst, die mich früher dazu getrieben hatte, sie zu verlassen, war verschwunden. Das Gefühl war ganz neu für mich. Es war eine Erkenntnis, die mich von innen her erleuchtete wie eine Rakete, die am Nachthimmel zerstiebt. Ich hatte sie verlassen, weil ich sie liebte.
Albert, Kat und Chaja schauten mich an. Albert hatte aufgehört zu reden.
»Ist was?«
»Du hast gesagt: ha!«
Kat sah mich skeptisch an.
»Dann hast du mich denken hören«, sagte ich.
»Faszinierend«, sagte Kat. »Und die Schlussfolgerung welches intellektuellen Prozesses war ›ha!‹?«
In der Diele läutete das Telefon. Kat seufzte, legte die Arme auf den Tisch und bettete ihren Kopf dazwischen.
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