Im Schatten der Vergeltung by Rebecca Michéle

Im Schatten der Vergeltung by Rebecca Michéle

Autor:Rebecca Michéle
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Tags: Historical
Herausgeber: edition oberkassel
veröffentlicht: 2013-12-11T23:00:00+00:00


12. Kapitel

London, September 1781

Im breiten Band der Themse zogen Dutzende von großen, mittleren und kleinen Schiffen vorbei, und Passagierfähren pendelten zwischen dem Nord- und dem Südufer. Das Wasser reflektierte das Sonnenlicht und ließ den Betrachter an diesem schönen Spätsommertag vergessen, dass der Fluss durch die Abwässer verschmutzt und schlammig war.

Es war so warm, das Willard Foster seinen Hut und Rock ausgezogen hatte. Bequem, mit weit von sich gestreckten Beinen, saß er auf der Terrasse des neu erbauten Somerset House und hörte seinem Gesprächspartner mit nur geringer Aufmerksamkeit zu. Der Tag war zu schön, um ihn mit politischen Debatten zu verbringen. Der Geruch des nahenden Herbstes lag bereits in der Luft, und Foster wollte die letzten Sonnenstrahlen genießen.

»So könnt Ihr sicher sein, Eurer Wahl als Abgeordneter steht nichts mehr im Wege«, fuhr Fosters Gegenüber unbeirrt fort. »Euer Einsatz bei den Gordon-Unruhen ist stadtbekannt, und viele verehren Euch als einen Helden.«

Willard Foster winkte gelangweilt ab. Mit Wohlwollen betrachtete er eine gutgewachsene Blumenverkäuferin, die auf der Promenade The Strand farbenfrohe Herbstblumen feilbot. Ihm stand heute nicht der Sinn nach Geschäften. Dann wandte er die Aufmerksamkeit schließlich doch seinem politischen Berater zu. Ned Corman war ein schmächtiger, kleiner Mann mit einem länglichen Gesicht und einer unübersehbaren Hakennase. Seine Wangen hatten eine ungesunde, bleiche Farbe, und die grauen Augen lagen in tiefen Höhlen, denn anstatt manchmal an die frische Luft zu gehen, verbrachte Ned Corman seine Tage fast ausschließlich in der Schreibstube. Wer ihn sah, würde hinter seiner fliehenden Stirn nicht einen ausgezeichneten Verstand vermuten. Foster hatte ihn vor rund fünf Jahren kennen und wenig später auch schätzen gelernt. Er selbst war mehr oder weniger durch Zufall in die politische Laufbahn hineingerutscht. Foster liebte seinen Landsitz in Kent, spürte aber schon in jungen Jahren, dass er sich nicht zum Landedelmann eignete. Seit dem Ausscheiden aus der Armee hatte er die meiste Zeit in seinem Londoner Stadthaus am Portman Square verbracht und sich die Zeit mit Freunden in zahlreichen Clubs und anderen, oftmals zweifelhaften, Etablissements vertrieben. Auf Druck seines Vaters hatte er standesgemäß geheiratet. Als seine Frau aber vor zehn Jahren starb, ohne ihm einen Erben zu hinterlassen, verspürte er nur wenig Trauer. Durch Freunde lernte er den Premierminister Lord North kennen. Niemand wunderte sich mehr als Willard Foster selbst über sein plötzliches Interesse an der Politik. Zuerst hatte er sich im Hintergrund gehalten, den Krieg mit den Kolonien jedoch aufmerksam verfolgt. Natürlich war er als Engländer dem König gegenüber loyal, konnte aber ein gewisses Verständnis für die Amerikaner nicht verhehlen. Foster hütete sich allerdings, dementsprechende Bemerkungen in Gegenwart von Lord North zu äußern, der vehement die Meinung vertrat, die Amerikaner müssten ein für alle Mal in ihre Schranken verwiesen werden. Als ihm im letzten Frühjahr das Angebot unterbreitet wurde, als Abgeordneter für den Stadtbezirk Islington zu kandidieren, fühlte Foster sich geschmeichelt und stellte sich dieser neuen, aufregenden Aufgabe. In vier Wochen würde nun die erste Abstimmung stattfinden. Er sah der Wahl positiv entgegen, denn – wie Ned Corman erwähnt hatte – Foster war in London inzwischen bekannt geworden.



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