Im Reich der Angst - Roman by Isaac Rosa

Im Reich der Angst - Roman by Isaac Rosa

Autor:Isaac Rosa
Die sprache: deu, deu
Format: epub
Tags: Literatur
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2011-06-28T04:00:00+00:00


Als er nach Hause kommt, sieht er im Aufzug in den Spiegel und stellt fest, dass die Verletzung auf seiner Wange unübersehbar ist, die Rötung geht bereits ins Violette, und das Fleisch ist geschwollen und lässt sein Gesicht asymmetrisch erscheinen. Auch die Nase ist geschwollen, und es ist zwar keine weitere Blutung aufgetreten, aber mitten auf dem Nasenrücken ist ein schwarzer Fleck zu sehen. Carlos betastet sie mit dem Finger, drückt darauf herum und bewegt sie nach links und nach rechts, und der Schmerz ist tatsächlich größer als zuvor. Er betrachtet sich im Spiegel, sein verletztes, blau angelaufenes Gesicht, ein sehr merkwürdiger Anblick, vorgestellt hat er sich seine durch eine Schlägerei oder Tracht Prügel entstellten Züge schon oft, aber es ist das erste Mal, dass er sich tatsächlich so sieht. Auf dem Heimweg hat er sich ein paar mögliche Erklärungen für Sara ausgedacht, es geht ihm dabei um ein Gleichgewicht zwischen der Glaubwürdigkeit seiner Erzählung und der Wirkung, die sie auf das Sicherheitsempfinden seiner Familie haben mag. Wenn er zum Beispiel erzählt, was wirklich passiert ist, wird das seiner Ansicht nach unglaubwürdig klingen, nicht für Pablo, aber doch für Sara, die nur schwerlich wird glauben können, dass sich ein Erwachsener von einem Jungen im Alter ihres Sohnes erpressen, einschüchtern und attackieren lässt, und damit sie es doch glaubt, wird er ihr noch sehr viel mehr erzählen müssen, er müsste seine Ängste benennen, die alten und die neueren, und müsste die Lügen der vergangenen Wochen gestehen, den fortgesetzten Betrug: dass er Pablo weiterhin von der Schule abgeholt hat, dass er seit über einem Monat nicht mit dem Direktor spricht, dass er dem Minderjährigen, der ihren Sohn erpresst hat, mehrmals Geld gegeben hat. Doch außerdem hätte die Wahrheit äußerst negative Folgen für Saras und Pablos Sicherheitsempfinden, sie würden sich verletzlich fühlen, einerseits, weil es bedrohlich ist, dass es diesen gewalttätigen Jungen gibt, andererseits und vor allem jedoch, weil ihr Ehemann und Vater außerstande ist, sie zu verteidigen.

Eine zweite Möglichkeit wäre, sich eine Schlägerei auszudenken, er könnte behaupten, er habe Ärger mit einem anderen Verkehrsteilnehmer bekommen oder sei anderweitig in einen Streit verwickelt worden, bis es zu Handgreiflichkeiten kam, das ist durchaus glaubhaft, so etwas kommt täglich vor, Sara und er haben es mehrfach beim Spazierengehen miterlebt: Zwei Autofahrer, die zusammenstoßen oder nicht einmal das, sie kriegen sich an einer Ampel in die Haare oder machen einander einen Parkplatz streitig, fangen an zu hupen, aus dem Fenster zu schreien, und steigen schließlich aus, und dann brüllen sie einander aus nächster Nähe an, ein erster Schubser gibt das Startsignal für eine Prügelei, die erst endet, wenn einer der beiden Reißaus nimmt oder am Boden liegt oder wenn sie, was weniger wahrscheinlich ist, von anderen Fahrern getrennt werden. Es wäre also glaubwürdig, etwas in diese Richtung zu erzählen, einem Taxifahrer sind die Sicherungen durchgebrannt, ein Brutalo hat ihn wegen eines Lenkmanövers angepöbelt, er ist zufällig mit einem Passanten zusammengeprallt, der nichts von höflichen Entschuldigungen hören wollte – Hauptsache, Carlos betont, dass die Schlägerei gegen seinen



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