Im Land der zornigen Winde by Galsan Tschinag Amelie Schenk

Im Land der zornigen Winde by Galsan Tschinag Amelie Schenk

Autor:Galsan Tschinag, Amelie Schenk [Galsan Tschinag, Amelie Schenk]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Asien, Heilkunde, Mongolei, Nomaden, Religion
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-18T16:00:00+00:00


Knochen, Fleisch und Blut

Wenn der Mensch entsteht, bekommt er vom Vater die Knochen und von der Mutter das Blut. Wir sagen söök, Knochen, und meinen damit den Stamm des Vaters. Mein Vater Schynykbaj, Sohn des Hylbangbaj, gehört dem Stamm Irgit an; und werde ich nach meinem Knochen gefragt, so sage ich: Ich bin vom söök Irgit. Alle väterlichen Verwandten werden agwa genannt, das sind die Onkels und die Tanten und ihre Kinder, und die mütterlichen daaj. Und so bestimmt die mütterliche Seite die Blutverwandtschaft und die väterliche die Knochenverwandtschaft. Deshalb sagt man bei uns auch, wenn der Vater eine Knochenkrankheit hat, zum Beispiel Knochentuberkulose, dann wird es immer knochenkranke Kinder geben. Ebenso bei der Mutter, ist die blutkrank, werden auch die Kinder an einer Blutkrankheit zu leiden haben. Das ist keinesfalls nur symbolisch zu verstehen.

Die daaj-Leute werden als die wichtigeren Verwandten angesehen. Denn Blut füllt dich mit Leben auf, macht dich zu dem Menschen, der du bist. Blut ist der Lebenssaft schlechthin. So wie Blut der Saft des Körpers, ist Wasser der Saft der Erde, ihr Blut. Vom Blut her bin ich vom Stamme Hojt. Die Hojt-Leute kommen von den Dörbet. Seit mindestens acht Generationen waren wir in der ganzen Gegend die Hauptsippe, waren vermögend und einflussreich. Und mütterlicherseits waren es buddhistisch angehauchte Leute, denn mein Ururururgroßvater war ein Bettelmönch und ist als blutjunger Mann mit nur einem Bündel aus dem Hoschuun der Dörbet bis zu uns gewandert. Dann ließ er sich nieder, heiratete. Also bin ich mütterlicherseits dörbetisch, westmongolisch und dazu noch buddhistisch angeweht.

Knochen sind das Grundgerüst fürs Leben, damit verbindet sich das Fleisch, und das Fleisch braucht das warme Blut. Knochen für sich genommen sind immer sichtbarer Überrest eines einst saftvollen Lebens und vergegenwärtigen so das Ewigvergängliche im Leben, solange, bis auch sie vergehen und eingehen in die Natur. Knochen sind aus dem Nomadenleben nicht wegzudenken, sind eines der wichtigsten Elemente überhaupt. Denn die Menschen sind Fleischesser, sie schlachten und zerlegen die Tiere, und so sind die Knochen auch immer gegenwärtig, so in der Jurte, draußen in der Steppe. Wenn du den Altai in schneelosen Zeiten siehst, wird dir auffallen, dass die Berghänge weiß-bunt ausschauen. Das kommt unter anderem von den Knochen. Da liegen hunderte, tausende, vielleicht Millionen Stück von Knochen aus verschiedenen Jahrhunderten. Knochen sind ja etwas, was nach einigen Jahren ganz weiß wird. Der Tuwa spricht von drei weißen Dingen. Im Wachsen seien die Zähne weiß, und im Altern die Haare, und nach dem Tod seien es die Knochen.

So gesehen haben sie einen feinen, bis zu einem Kult ausgeprägten Sinn für die Knochen von Tieren. Der Schädel spielt da die zentrale Rolle. Von Pferden darf man den Schädel niemals liegen lassen, die werden unversehrt ausgekocht, von Fleischresten befreit und dann auf die höchste Stelle getragen, auf einen hohen Felsen. Oft ist das ein owoo. Von besonders guten Pferden bringt man die Schädel dorthin, und wenn irgendwo ein Schädel heruntergefallen ist vom Felsen oder owoo, egal ob dieser Schädel einem bekannt ist oder unbekannt, trägt man ihn wieder hoch.



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