Im Land der weiten Fjorde by Christine Kabus

Im Land der weiten Fjorde by Christine Kabus

Autor:Christine Kabus [Kabus, Christine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-8387-1890-3
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2014-10-15T22:00:00+00:00


21

Nordfjord, Sommer 1941

Enar kam nur schwer über den Tod seiner Mutter hinweg. Nach außen hin hatte er sich kaum verändert. Wie gewohnt ging er seiner Arbeit nach, besuchte sonntags den Gottesdienst, hielt danach ein Schwätzchen mit seinen Bekannten und hörte regelmäßig die BBC-Nachrichten, um sich über den Verlauf des Krieges zu informieren.

Doch seiner Familie fiel auf, dass er noch wortkarger und verschlossener war als früher. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten starrte er oft vor sich hin und war tief in trübe Gedanken versunken.

Lisbet vertraute Mari an, dass Enars Schlaf neuerdings unruhig war und er von schweren Träumen geplagt wurde.

Mari tat ihr Vater sehr leid. Auch sie vermisste Großmutter Agna schmerzlich.

Dass ihr Tod Enar so zusetzen würde, hätte sie nicht vermutet. Sie hatte das Verhältnis der beiden als freundlich, von seiner Seite aus aber als nicht besonders eng erlebt. Mari wurde wieder einmal klar, wie schwer die Gefühle ihres Vaters zu ergründen waren.

Keinen Zweifel gab es jedoch daran, was er für die Deutschen und alle, die sich mit ihnen einließen, empfand. Als er erfuhr, dass eine norwegische Schutzstaffel, die Norges SS, gegründet und in Oslo am 25. Mai von Heinrich Himmler persönlich als »Teil der germanischen SS« in seinen »schwarzen Orden« aufgenommen wurde, hätte Enar vor Abscheu und Wut beinahe den Radioapparat vom Wandregal gefegt.

Denn die vielen frischgebackenen SS-Leute hatten sich freiwillig verpflichtet.

Wie konnte man sein Vaterland so verraten?

Und mit den Deutschen wollte Enar nach dem aggressiven Auftritt von Hauptmann Knopke auf Agnas

Beerdigung nichts mehr zu schaffen haben. Joachim gegenüber, der sich bei einem späteren Besuch auf dem Karlssenhof für die Störung der Trauerfeier entschuldigt hatte, hegte er zwar keinen Groll. Dennoch begegnete er ihm seit jenem Zwischenfall deutlich distanzierter und ging ihm wenn möglich aus dem Weg. Maris Hoffnung, ihr Vater würde ihren Liebsten bald nicht mehr als feindlichen Soldaten, sondern nur als Menschen sehen, hatte einen Dämpfer erhalten. Ole dagegen war nach wie vor zuversichtlich, dass es immer noch möglich war, Enar zumindest für diesen einen Deutschen zu erwärmen.

Die Geschwister jäteten an einem frühen Junitag Unkraut auf dem kleinen Kartoffelacker, der hinter dem Gemüsegarten lag, als Mari das Thema anschnitt, das ihr am meisten auf der Seele lag.

»Meinst du, ich werde mich jemals offen zu Joachim bekennen können?«, fragte sie.

Ole richtete sich auf. »Hab Geduld mit Vater«, sagte er. »Ich weiß, wie sehr dir diese Heimlichtuerei zuwider ist.

Aber ich bin mir sicher, dass sie irgendwann nicht mehr nötig sein wird.«

Er lächelte sie an.

Mari zwang sich, das Lächeln zu erwidern, und beugte sich wieder zu den Pflanzen hinunter. Sie hoffte so sehr, dass Ole mit seinem Optimismus richtiglag.

Wenigstens hat Vater Joachim nicht vom Hof verwiesen, versuchte sie sich zu trösten. Vielleicht müssen wir tatsächlich einfach nur geduldig abwarten. Sie unterdrückte ein Seufzen.

Geduldig abwarten gehörte nicht gerade zu ihren Stärken. Und Ole hatte leicht reden. Seine Liebe zu Nilla wurde allseits mit Wohlwollen aufgenommen.

Als er sie vor ein paar Wochen nach Hause mitgebracht und verkündet hatte, sie hätten sich verlobt und wollten im September heiraten, hatte das ein selten gewordenes Lächeln auf Enars Gesicht gezaubert.



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