Im Krebsgang by Günter Grass

Im Krebsgang by Günter Grass

Autor:Günter Grass [Grass, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423131766
Google: 0m0tPwAACAAJ
Amazon: 3804417914
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Company KG
veröffentlicht: 2004-04-14T22:00:00+00:00


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Günter Grass im Gespräch

„In meiner Geschichte findet der immerwährende Untergang der „Gustloff“ im Internet statt.“

Herr Grass, was hat Sie angestoßen, den Untergang der Wilhelm Gustloff literarisch zu gestalten?

Dieses Thema tickt bei mir schon sehr lange. In der »Danziger Trilogie«, aber insbesondere im Roman »Die Rättin« gibt es Hinweise, daß Tulla Pokriefke mit der Gustloff untergegangen sei. Tullas Schicksal bot mir die Möglichkeit, diese größte Schiffskatastrophe der Menschheit, die vergessen und verdrängt wurde, erzählerisch zu gestalten, Tulla als fiktive Person in etwas zu fügen, das mir als Material vorlag. Im Verlauf der Vorüberlegungen zeigte sich, daß mehrere Personen mit dem Stoff verbunden sind: der Landesgruppenleiter der NSDAP in der Schweiz, Wilhelm Gustloff, der jüdische Medizinstudent David Frankfurter, der ihn 1936 erschossen hat, und nicht zuletzt der U- Bootkommandant der sowjetischen Rotbannerflotte, Alexander Marinesko, der das Schiff am 30. Januar 1945 mit mehr als 10.000 Menschen an Bord versenkt hat, unter ihnen über 4000 Kinder. Der Untergang des Schiffes steht zwar zentral, doch die Fortsetzung von Tullas fiktiver Lebensgeschichte und die historischen Biographien von Gustloff, Frankfurter und Marinesko waren gleichfalls zu erzählen. Aus dieser Konstruktion ergab sich die Erzählweise und daraus wiederum der Titel des Buches.

Tulla überlebt den Untergang?

Die Eltern der hochschwangeren Tulla Pokriefke gehen mit der Gustloff unter; sie jedoch rettet sich auf das einzige Begleitschiff und bringt während des Unterganges einen Jungen zur Welt. Dieser wird viel später zum Erzähler des Buches, das mit dem Satz anfängt: »Warum erst jetzt?« Es geht um ein Thema, das in Deutschland nie im Vordergrund der Diskussion stand, auch was mich betrifft. Wir waren mit anderen Katastrophen, mit eigenem Versagen, eigenen Verbrechen beschäftigt. So kommt Tullas Sohn erst als Fünfzigjähriger dazu, das Geschehene aus seiner Sicht zu beschreiben. Er stößt im Internet auf rechtsradikale Seiten zur Gustloff, was ihn neben den Mahnungen seiner Mutter dazu bringt, endlich mit seinem Bericht zu beginnen.

Sie bekennen sich, was Ihre Arbeit angeht, bewußt dazu, keinen Computer zu benutzen. Worin lag für Sie der Reiz, das Medium Internet in diese Geschichte einzubringen?

Die Tatsache, daß ich ihn nicht benutze, für mich nicht benötige, heißt ja nicht, daß ich etwas gegen Computer habe. Meine Zweifel fangen aber an, wenn sie etwas suggerieren, was man Kommunikation nennt, was jedoch nur ein starkes Surrogat für wirkliche Kommunikation ist. Junge Menschen nehmen den Computer als etwas Selbstverständliches, und gerade bei jungen Menschen verlagert sich das, was man landläufig unter Kommunikation verstand, ins Internet, in eine virtuelle Welt. In meiner Geschichte findet parallel zu dem, was der Sohn Tulla Pokriefkes vorträgt, der immerwährende Untergang der Gustloff im Internet statt, ins Bild gesetzt aus rechter, aus rechtsradikaler Sicht.

Welche Schwierigkeiten bot die literarische Umformung eines so unbeschreiblichen Schreckens, wie es der Untergang der Gustloff war?

Aus dem Zusammentreffen einer fiktiven Erzählwelt, die sich über Tulla Pokriefke und ihren Sohn aus »Hundejahre« und »Katz und Maus« herleitet, und dem vorliegenden historischen Material, das nach Bericht verlangt, ergibt sich ein Spannungsverhältnis von berichtendem Ton und erzählendem Ton. Reizvoll war für mich der im Buch mitschwingende Streit zwischen dem fiktiven Erzähler und dem Autor, meiner Person.



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