Im Kopf von Bruno Schulz by Biller Maxim

Im Kopf von Bruno Schulz by Biller Maxim

Autor:Biller, Maxim
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30764-1
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2014-10-28T00:00:00+00:00


Vielleicht ist der Schluss ein bisschen übertrieben, dachte Bruno, während er die letzten Seiten seines Briefs an den berühmten und einflussreichen Kollegen in Zürich las. Wird er mir das glauben? Wird er sich für mich einsetzen? Wird er nicht denken, ich meine ihn? Plötzlich war die Angst wieder da, die ihn in den vergangenen ein, zwei Stunden verlassen hatte, und der graue, warme Klumpen drehte sich erneut in seinem Bauch. Gleichzeitig erschütterten Hanias krachende Schritte von oben die schwarze, jetzt fast unsichtbare Kellerdecke, und er fürchtete, dass sie jeden Augenblick mit ihren hohen, spitzen Absätzen den Küchenfußboden durchbrechen und seinen Kopf aufspießen könnte. Hania – die arme, unausstehliche Hania – trug neuerdings auch zuhause ihre teuren französischen Schuhe, genauso wie ihr Chiffonkleid von Lunarski & Klein aus Warschau, denn sie rechnete jeden Moment mit der Rückkehr des toten Jankel und wollte immer schön für ihn sein. Und weil sie das Kleid fast nie auszog, auch nicht beim Kochen, so wie jetzt bestimmt auch nicht, war es überall mit roten Borschtschflecken und gelben, eingetrockneten Teigspritzern bedeckt, und die herrlichen weißen Puffärmel hatten Dutzende Brandlöcher. Hania war nicht das einzige Nervenbündel im Haus. Auch ihre beiden Söhne wurden von Woche zu Woche unruhiger – und sie verwahrlosten. Sie hatten zerrissene Hosen und Hemden und dunkelroten, fast schwarzen Schorf auf den nackten Knien, sie schnitten sich gegenseitig mit der Küchenschere die ungewaschenen Haare, schief und ungenau wie Landstreicher, und in der Schule hatte Bruno sie seit Monaten nicht mehr gesehen. Wenn die Mutter sie etwas fragte, antworteten sie entweder gar nicht, oder sie drohten ihr, sie aus dem Haus zu werfen, darum blieb sie meist stumm in ihrer Gegenwart. Ihren Onkel ließen Jacek und Chaimele aber in Ruhe. Nur manchmal, wenn er im Wohnzimmer auf Papas altem, speckigem Biedermeiercanape mit den riesigen Geierfüßen und -krallen lag und, leise die Lippen bewegend, ein Buch las oder zeichnete, unterhielten sie sich flüsternd über ihn. »Wer soll sich um uns kümmern, wenn die Russen oder die Deutschen kommen?«, sagte vor ein paar Tagen Jacek zu Chaimele. Und Chaimele erwiderte kichernd: »Onkel Bruno, das ist doch klar. Zusammen mit den Nutten aus der Stryjstraße und seinen Warschauer Schriftstellerfreunden wird er schon wissen, was zu tun ist.« Worauf Bruno erschrocken einen leisen Pfiff ausstieß und dem Sofa einen kleinen Klaps gab, und sofort trippelte es mit ihm aus dem Wohnzimmer in die Bibliothek, damit er wieder ungestört sein konnte.

Inzwischen war es in Brunos Arbeitskeller so dunkel, dass er kaum noch seine eigene Schrift lesen konnte. Das schwache, orangefarbene, phantastische Licht der Straßenlaternen, die gerade erst auf der Florianskastraße angegangen waren, verlor sich auf halbem Weg zwischen der offenen Fensterklappe und seiner Staffelei, die er seit Jahren zum Aufhängen seines Mantels und Huts benutzte, und manchmal stellte er sich vor, wie er selbst daran hing. Er stand schnell auf, zwängte sich erneut hinter den niedrigen Schreibtisch und knipste die schöne, kalte, deutsche Lampe an, deren schwarzer Metallschirm auch nach Jahren so glänzte wie polierte Kavalleristenstiefel. Erst als er jetzt



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