Im Herzen des Himalaya by Alexandra David-Néel
Autor:Alexandra David-Néel [David-Néel, Alexandra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Marix Verlag
veröffentlicht: 2015-12-17T16:00:00+00:00
Patan ist kleiner als Bhadgaon. Man sagt mir jedoch, es habe über zwanzigtausend Einwohner.
Wie viele Schweine in den Vororten, die man durchquert, um ins Stadtzentrum zu gelangen! In dichten Rudeln laufen sie vor den Füßen unserer Pferde herum, grunzen, quieken, stoßen und drängen sich und hindern uns voranzukommen. Und was für ein Schmutz! Hohe Müllhaufen, faulige Wasser … und das Übrige wie überall in Nepal. In all dem Unrat wimmeln Kinder inmitten der Schweine. Die Pockenkrankheit und die Göttin Sītalā sind allgegenwärtig. Die Gesichter der Kleinen, die im Schlamm herumpatschen, sind von Pusteln und schwarzem Schorf bedeckt.
Patan – Lalit Pātān, wie es sich in seiner Glanzzeit nannte – war die Hauptstadt der newarischen Könige. 1768 wurde sie von den Gurkhas erobert, die sich als wildwütige Sieger gebärdeten. Sie plünderten nicht nur die Stadt, sondern massakrierten auch die meisten adligen Familien. Vielen einfachen Leuten wurde die Nase abgeschnitten. Diese Art von Verstümmelung scheint von den Gurkha-Eroberern in großem Stil betrieben worden zu sein. Ganz in der Nähe von Kāthmāndu liegt auf einem Hügel eine Ortschaft, die dem Ansturm der Gurkhas lange Zeit widerstand. Als die Eindringlinge sie 1765 dann einnahmen, ließen sie allen Männern und allen Knaben über zehn Jahren die Nase und die Lippen abschneiden. Außerdem zwangen sie dem Ort den Namen Naskatpur auf, das heißt: »Stadt der abgeschnittenen Nasen«. Heute hat das Städtchen diese demütigende Bezeichnung abgelegt und nennt sich Kiatipur.
Man sieht in Patan die gleichen Gebäude mit ihren von Verzierungen aus Holz, Kupfer, Gips überladenen und mit lebhaften Farben bemalten Fassaden wie in Bhadgaon.
Sylvain Lévi, der hervorragende französische Sanskritist, hielt sich mehrmals in Nepal auf, er suchte hier erfolgreich nach alten Sanskrit-Texten, die als verschollen galten, und begeisterte sich für Patan.
»Der Durbar-Platz«, schreibt er, »ist ein fast unbeschreibliches Wunderwerk; unter der strahlenden Klarheit eines Himmels, der nicht blendet, breitet der Königspalast seine gemeißelte, geschnitzte, bunt bemalte Fassade aus, auf der das Gold, das Blau, das Rot den dunklen Ton des Holzwerks aufhellen; gegenüber, wie aus einer Künstlerlaune geboren, erhebt sich eine Welt aus weißschimmernden Steinen: von Bronzebildnissen gekrönte Säulen, durchbrochene Säulengänge, Traumtempel, leicht und zart, unter dem Schutz von Schimären und Greifen.«
Eine der Besonderheiten von Patan wie auch von Bhadgaon ist die große Anzahl von Säulen, die Figuren aus Bronze oder vergoldetem Kupfer tragen. So sieht man, in den Lüften sitzend, Garudas, Makaras (den Adler und das Meerungeheuer aus der Mythologie Indiens), phantastische Löwen, Elefanten, Pfauen und, worauf ich bereits hinwies, sogar die Ratte, das dem Gott Ganesha geweihte Tier. Zwischen diesen zoologischen Exemplaren thronen, auf hohen Säulen, auch die Helden der nepalesischen Geschichte und Götter.
Dieses Heer von Säulenheiligen macht einen seltsamen Eindruck. Man meint die Zurüstungen einer Prozession zu sehen und erwartet, dass plötzlich Männer auftauchen, die Pfeiler und Säulen ergreifen, sich einer hinter dem andern in Bewegung setzen und die symbolischen Tiere, die Könige der vergangenen Jahrhunderte sowie die zeitlosen Gottheiten herumtragen, deren unterschiedliche Gesichter die Menschen, ihre Schöpfer und ihre Sklaven, ihnen aufgenötigt haben.
Während ich Patan besichtigte, hatte Passang wie in einem Kriminalroman den Detektiv gespielt.
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