Im Grenzland by Fatah Sherko

Im Grenzland by Fatah Sherko

Autor:Fatah, Sherko [Fatah, Sherko]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-10-25T16:00:00+00:00


7

Jetzt, nachdem er den Pullover entdeckt hatte, ging ihm die Angst vor einem Überfall nicht mehr aus dem Kopf. Er hätte umkehren können, eigentlich müssen. Von der Stadt aus ließ sich absurderweise viel einfacher in Erfahrung bringen, wer sich hier herumtrieb. So ist das ganze Land, dachte er. Die Nähe war immer und überall verwirrend und unübersichtlich, nicht durch die Fülle der Möglichkeiten, sondern durch die Beschränkungen. Er ahnte die Verbindung, die zwischen seinem Pfad und der Ungewißheit bestand, die ihn jetzt quälte. Im Grunde führte dieser Pfad nicht nur durch das Grenzland. Er war überall, wohin er auch ging.

Der Schmuggler ließ den Hang hinter sich und ging, nun schon auf jeden Schritt achtend, auf das verminte Gelände zu. Auf der steinigen Wiese, die sich in sanfter Steigung aufwärts erstreckte bis zu einer den Felsen und dem Paß vorgelagerten Bergkuppe, blühten Glockenblumen, und die Halme der vom Wind plattgedrückten Gräser spreizten sich verbergend über den Boden. Hierher war noch kein Minensuchkommando gekommen, es gab keinerlei Absperrungen und nirgends ein Warnschild.

Der Schmuggler blieb vor der Wiese stehen, ging ein paar Meter zur Seite und wieder zurück, um seine Eintrittsstelle genau zu bestimmen. Lage und Stellung von Steinen dienten ihm als Kennzeichen. Er fand den Punkt rasch, die Wiese war unverändert. Er holte den Metallstab hervor, dann schaute er noch einmal zurück. Über dem Hang tauchte der erste Felsen aus dem gelblichgrauen Gelände. Wie eine Predigtkanzel hing das graue Plateau daran. Zwei kümmerliche, fast kahle Bäume neigten sich mit hängenden Zweigen ins Leere. Er dachte an die nächtlichen Stimmen und hatte das Gefühl, ein Haus zu verlassen mit dem sicheren Wissen, etwas vergessen zu haben.

Er rückte den Rucksack zurecht und kroch voran in die Wiese. Sie sah nur von fern dicht bewachsen aus. Die Halme der Gräser bedeckten trockenen, lockeren Boden, in dem sie nur fleckenweise wurzelten. Darin lag das Tückische des Geländes, denn es bot, entgegen dem Anschein, den geeigneten Grund für jene flachen Tretminen, die aussahen wie drei übereinandergestapelte Scheiben, von denen die kleinste zuoberst lag. Senkrecht über die Ränder der Scheiben verliefen Grate, wahrscheinlich für besseren Halt in lockerem Boden. Dadurch hatten die kaum handtellergroßen Dinger eine gewisse Ähnlichkeit mit Spielzeugen.

Immer nach dem Ausgraben kam dem Schmuggler der Ernst der Lage wieder zu Bewußtsein, wenn er die Schriftzeichen erkennen konnte, die genau da verliefen, wo der Fußballen die obere Scheibe treffen und niederdrücken sollte. Diese Zeichen, was immer sie anzeigten, hatten nichts Zierendes. Sie lagen in der kleinen, grünbraunen Fläche wie nicht zum Lesen vorgesehene Reste einer uralten Inschrift an unzugänglichem Ort, bedeckt von Erde, dazu bestimmt, in der Explosion, in der Wunde und im Schmerz zu verschwinden und so ihre Botschaft zu überbringen. Sie waren wie ein erstarrter Countdown vor der Detonation.

Der Schmuggler hielt den Kopf dicht über der Erde und rutschte auf den Knien voran. Was er, beschirmt von der Strohhutkrempe, vor sich sah, war ein festumrissener, aber nun nochmals extrem verengter Pfad. Die kleinen Steine, die er selbst als geheime Markierung ausgelegt hatte, leiteten ihn, aber nur zentimeterweise, denn er mußte die genaue Lage in seiner Erinnerung finden.



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