Im Dunkel unter der Stadt by Barnes Linda

Autor:Barnes, Linda [Barnes, Linda]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

19

Ein düsterer, regnerischer Sonntagmorgen.

Ich versuchte angestrengt, länger zu schlafen, mich in der angenehmen Vorstellung zu wiegen, einen Tag ohne Tippen und Aktenabheften vor mir zu haben, aber ich wälzte mich ruhelos und verknautschte das Kopfkissen, bis ich mich schließlich angewidert aufsetzte. Liz Horgan hatte mich gefeuert, Dana Endicott lag im Krankenhaus; alles lief saumäßig.

Gestern Abend hatte ich noch angenommen, Dana Endicott hätte mich als nächste Angehörige angegeben, weil sie reden wollte. Das war ein Irrtum. Sie wollte keineswegs reden; sie wollte sich bloß verstecken vor irgendwelchen Kollegen aus den prüden Vorstandskomitees, vor allem aber vor ihren Eltern, die nichts von ihrem wirklichen Leben ahnten, die nie etwas von ihrem wirklichen Leben erfahren sollten, solange sie es verhindern konnte. Besonders ihre Mutter würde entsetzt sein. Diese «Tochter der amerikanischen Revolution» hatte keinen blassen Schimmer, dass ihre Tochter eine Lesbe war. Und der konservative Vater würde eines Tages vielleicht gern für ein Amt in einem konservativen Bezirk kandidieren. Meinen Namen hatte sie nur angegeben, weil es zu den Vorschriften gehörte, die leere Spalte «nächste Angehörige» auszufüllen, Veronica weg war und ich als in ihren Diensten Stehende keine Gefahr darstellte.

Was hatte ich aus meinem langen Samstagabend im Krankenhaus gelernt? Dass dort die meisten Schusswunden der Stadt landen, aber das wusste ich schon vorher. Ich war damals selbst mit meiner stark blutenden Wunde auf einer Trage dort eingeliefert worden. Mein Bein hatte auf dem kalten Flur und im überheizten Wartezimmer heftig zu pochen begonnen. Wie ich hatte feststellen müssen, war die Privatstation gut bewacht. Ich hatte mir etwas einfallen lassen müssen, um hineinzukommen.

Bei meiner Klientin hatte ich mich nur knappe zehn Minuten aufhalten können, und in dieser kurzen Zeit hatte sie mir erklärt, es hätte sich absolut nichts geändert, außer dass mir doch jetzt klar sein müsse, wie dringend es geboten sei, Veronica zu finden. Bestimmt würde ich jetzt einsehen, dass sie sich nicht einfach aus dem Staub gemacht hatte. Veronica liebe sie, bete sie an, und sie liebe Veronica. Es sei, darauf hatte sie bestanden, eine feste Beziehung. Veronica würde sie nie ohne ein erklärendes Wort verlassen. Und ganz gewiss würde sie nie für eine Woche, einen Monat oder irgendeine Zeit mit einem Mann verschwinden. Sie hätte Rick Garrison ihretwegen fallen lassen. Sie könnte nichts mit Männern anfangen und würde keine fünf Minuten an jemanden mit Namen Peter verschwenden.

Und was war im Haus passiert? Wer hatte sie so zugerichtet? Wir hatten gar nicht erst Zeit mit der Phantasiegeschichte vom Sturz auf der Treppe vertrödelt. Männer, hatte sie gesagt. Einbrecher. Mit unkenntlichen Gesichtern, wie im Film. Männer, die mit Strümpfen maskiert waren. Ich bohrte weiter. Wie viele Männer? Ob sie sie vielleicht doch erkannt hätte?

Sie hatte gemeint, es seien zwei gewesen. Jedenfalls zwei, die sie gesehen hätte, aber es sei alles so schnell gegangen, dass sie sie nicht beschreiben, geschweige denn identifizieren könne. In ihrem Entsetzen, vielleicht vergewaltigt oder ermordet zu werden, hätte sie nur einen sehr flüchtigen Eindruck gewonnen. Die Ärzte hätten ihr allerdings gesagt, dass sie bis auf die Wunde am Kopf unversehrt sei.

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