Im Auftrag des Tigers by Heinz G. Konsalik
Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-21T04:00:00+00:00
Maya zahlte das Taxi und warf einen kurzen Blick über die Straße auf die graue, verwitterte Museumsfassade. Dort drinnen war sie ihrem ersten Tiger begegnet. Eigentlich waren es zwei gewesen, ausgestopft alle beide. Sie standen in der Halle, gleich neben dem großen Raum, in dem man die Kopien der Kron-Insignien der Sultane von Jorak bestaunen durfte. Und dort mußten sie auch stehen. Denn es war der ›Tigergeist‹, der die Herrschaft der Sultane von Jorak beschützte.
Ihre Reisetasche in der Hand durchquerte sie die Hotelhalle und ließ sich den Waschraum zeigen. Sie schloß die Tür ab und betrachtete sich im Spiegel. Sie lebte in Frieden mit ihrem Gesicht, heute aber hatte sie Probleme: Schatten zogen sich unter den Augen, feine Kerben schnitten von der Nase zum Kinn. Es war nicht die Erschöpfung. Es war weder Singapur noch KL. Es lag an etwas anderem: An dieser Gefühlsmischung von Unsicherheit und Zweifel, die sie überfallen hatte, eine lähmende, lastende Unsicherheit, die sie seit langem zum ersten Mal wieder fühlte.
Warum nur war sie nicht sofort hinauf in die Berge zur Station gefahren? Wieso nur mutete sie sich diesen Nandi-Zirkus zu?
Sie streifte ihre Reise-Shorts vom Leib und wechselte die Wäsche.
Dann suchte sie sich einen hellen Rock und die dunkelblaue, weißgepunktete Bluse aus der Tasche. Gott sei Dank, beide wirkten noch einigermaßen gebügelt. Sie zog Bluse und Rock an und betrachtete sich erneut im Spiegel.
Baba, Sulei Nandi, der ›Alte‹. Vielleicht bekommt er einen Schlaganfall, wenn ich auftauche? Oh nein, er ist zäh. Er wird ewig leben …
Sie nahm ihre Schminksachen und begann, die Augen mit Lidstrichen zu vergrößern. Sie malte Schatten, trug Puder auf, zog die Lippen nach und verhöhnte sich gleichzeitig für ihre Make-up-Orgie. Während ihr der Verstand zurief, daß sie ihren Großvater, nach allem, was nun mal geschehen war, versöhnen müsse, und daß dies am besten zu erreichen sei, wenn sie ihm genau das Bild der erfolgreichen Heimkehrerin lieferte, das ihm vorschwebte, das Bild des erfolgreichen indischen Mädchens, das sich im Ausland durchgeschlagen hat, war sie sich gleichzeitig darüber klar, daß diese rationalen Argumente nichts anderes darstellten als Alibi-Übungen. Was wollte sie eigentlich? Hatte sie nicht über Jahre versucht, den Nandi-Clan in ihrem Herzen zu bekämpfen, die Nabelschnur zu lösen, die jeden Inder bis ans Ende seines Lebens mit Familie und Stallgeruch verbindet? Und war sie nicht jedesmal, genauso wie jetzt, damit gescheitert?
Sie hatte große Lust, sich die ganze Farbe wieder abzuwischen. Doch Baba Nandi wollte die weiblichen Mitglieder seines Hauses nun mal so. Schon als Zwölfjährige hatte sie gelernt, mit Henna, Parfümölen und Kohlestiften umzugehen.
Maya schob eine letzte Locke zurecht, nahm die Tasche, ging durch die Hotelhalle – und blieb stehen.
Im Eingang war eine junge Frau erschienen. Der Türsteher machte seine Verbeugung. Sie sah sich kurz um und nahm die Richtung zur Cafeteria.
Geeti!
Ja, es war ihre Schwester … Und gleichzeitig eine völlig veränderte Geeti. Maya hatte sie im Sari oder in der Kurta, dem fließenden, langen Gewand der Inderinnen erwartet, doch die Frau dort trug ein rosenholzfarbenes, tailliertes, höchst elegantes Kostüm. Keine Sandalen, oh nein, hohe Absätze.
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