Ich lege Rosen auf mein Grab by -ky

Ich lege Rosen auf mein Grab by -ky

Autor:-ky [-ky]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: [email protected]
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Variante 6

S-Bahn-Linie 2 der West-Berliner Nahverkehrsgesellschaft

BVG, Nordbahn. Fast sechzig Jahre alte Züge, ockerfarben-rot

und noch mit Nieten, auch hölzernen Bänken, eben gründlich

überholt, wie neu. Frohnau ab 10.41, Hermsdorf 10.43,

Waidmannslust (welch Name!) 10.46 und Wittenau 10.48.

Mugalle verglich seine mit der Bahnhofsuhr und nickte

zufrieden.

«Absolut pünktlich», sagte er zu den beiden Männern, die ihn

in der engen Bucht aus zwei gegenübergestellten

Doppelbänken unauffällig eingeklemmt hatten, aussahen wie

verspätete Schering-Chemiker, die aus Versehen einmal S-

Bahn fuhren.

«Nicht nur Ihre Firma ist für ihr Weltniveau bekannt»,

erwiderte sein direktes Gegenüber.

«Das da links ist das Märkische Viertel…» Sein Arm-an-

Arm-Nachbar zeigte nach draußen. «Seh’n Sie mal, Herr

Jossa…!»

«Pst…!» kam die Mahnung, obwohl im eh nur schwach

besetzten Zug niemand in der Nähe war, der sich mit mehr als

einem schnellen Blickkontakt um sie gekümmert hätte.

Mugalle nickte. Eine alte Villa wartete auf ihn, drüben in der

DDR-Hauptstadt Berlin, Rosenthal, Stadtbezirk Pankow, und

wenn er da auf seiner Terrasse im Liegestuhl lag, begrenzte

West-Nordwest besagte Hochhaussiedlung seinen Blick.

Wenig später, gerade war der Nordgraben überwunden

worden, krallten sich die Grenzanlagen in den Bahndamm

hinein, fuhren sich ein halbes Dutzend Kilometer mit tristem

Mauerblick dahin, am backsteinroten Bergmann-Borsig-Klotz

vorbei, ein sowjetisches Ehrenmal, einen Obelisken, im Visier,

dies alles Unkerhand, hielten kurz auf zwei westlichen

Bahnhöfen, Wilhelmsruh der eine, Schönholz der andere, beide

ziemlich verwaist, die dazugehörigen Ortsteile abgeschnitten

im andersdeutschen Ausland, immer noch pünktlich.

Mugalle fand es an der Zeit, seinen beiden Begleitern noch

einmal darzutun, daß ihm dieser Jossa in Bad Brammermoor

recht eigentlich leid tue, obwohl ihm das Ganze natürlich

überaus recht käme und er sich, um Gottes willen, nicht

anmaßen wolle, irgendwie Kritik an den BRD-Organen auch

nur ansatzweise zu üben.

«Wir haben zwölftausend Tote jährlich im Straßenverkehr»,

bekam er zur Antwort, «was macht denn da der eine im

Verkehr der Staaten untereinander? Und hilft es nicht, den

Frieden zu sichern, erspart uns dieses eine Opfer nicht – unter

anderem – auch die Angst vor atomaren Schlachten, bei denen

wir Millionen von Bürgern opfern müßten? Der eine, Jossa, ist

das wert!»

Mugalle lächelte, war angetan vom Pathos dieses Westlers

neben ihm, liebte solche Redner-Poesie.

Sein Gegenüber, immer im sichernden Kniekontakt mit ihm,

präferierte mehr das Zynische. «Jossa, sein Pech, was sieht er

aus die Sie! Schwitzend, fluchend, manchmal fast am Ende,

Tage und Wochen, was meinen Sie wohl, haben wir, siehe

Rasterfahndung, die ganze Bundesrepublik, die BRD, nach

Ihrem Doppelgänger abgesucht. Meine Ehe hat er mich

gekostet, dieser Jossa, Jens-Otto! Nun soll er man auch hübsch

büßen dafür. Außerdem, als Brokdorf wie als Wackersdorf-

Krawaller ist er doch haargenau da, wo diese Burschen alle

hingehören, in den Knast nämlich!»

10 Uhr 55, Berlin-Wollankstraße, Bahnhof für westliche

Menschen ausschließlich, aber auf Ost-Berliner Gelände

gelegen und von Ost-Berliner Reichsbahnern betrieben, von

deren Transportpolizisten bewacht. Sie waren am Ziel.

Der Zug hielt stets am selben Punkt des langgestreckten

Bahnsteigs, ganz genau vor einer Tafel mit der Aufschrift H,

weiß auf schwarzem Grund, und dem Kürzel 16 X darunter,

was sich auf die Achsen- respektive Wagenzahl bezog. So ließ

sich mühelos vorausberechnen, wo «das erste Fenster nach der

zweiten Tür» zu finden sein mußte.

Und als Mugalle und seine beiden west-beamteten Begleiter

nun auf den Perron hinausblickten, sahen sie drei Männer dort

warten, allesamt in blauen Bahneruniformen, fast zur Parade

aufgereiht, und der mittlere von ihnen nahm sich grad die

Mütze ab, tupfte sich mit einem schwarz-weiß-rot karierten

Taschentuch die hohe Stirn, den Nacken ab, schien unheimlich

zu schwitzen.



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