Ich gehe jetzt by Echenoz Jean

Ich gehe jetzt by Echenoz Jean

Autor:Echenoz, Jean [Echenoz, Jean]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00


20

Am anderen Ende der Leitung legt auch Baumgartner auf, ohne dass sein Gesicht eine besondere Empfindung verriete. Doch unzufrieden sieht er nicht aus, wie er da an eines der Fenster seines Apartments tritt: kaum was zu sehen; Baumgartner öffnet das Fenster: kaum was zu hören, zwei Piepser einander verfolgender Vögel, fern und verschwommen Automobilverkehr. Er ist also zurück in Paris in seinem großen Apartment am Boulevard Exelmans ohne direktes Gegenüber. Jetzt kann er nichts mehr tun außer zu warten, die Zeit totzuschlagen, indem er aus dem Fenster schaut, und wenn es Nacht ist, wird er in den Fernseher schauen. Jetzt aber erst mal aus dem Fenster.

Der gepflasterte Hof, mit Linden und Akazien bestanden, enthält eine Art kleinen, von niedrigen Hecken umgebenen Park, darin ein Wasserbassin, in dessen Mitte ein bogenförmiger beziehungsweise heute durch leichten Wind aus dem Gleichgewicht gebrachter Wasserstrahl aufsteigt. Ein paar Spatzen, zwei, drei Häher oder Amseln beleben die Bäume, Gesellschaft leistet ihnen eine weißliche Plastiktüte mit dem Namenszug eines Baumarkts, die sich oben in einer Astgabel verfangen hat, von demselben leichten Wind gebläht wie ein Segel; sie zittert und zappelt, als wäre sie ein Lebewesen, und gibt klatschende und säuselnde Geräusche von sich. Unter ihr liegt ein umgestürztes Kinderfahrrad mit Stützrädern. Drei lächerliche Laternen in den Ecken des Hofs und drei Videokameras über den Türen der drei Villen haben ein Auge auf dieses kleine Idyll.

Obgleich die Lindenzweige die Sicht zwischen den Villen behindern, kann Baumgartner deutlich die Terrassen gegenüber erkennen, möbliert mit gestreiften Liegestühlen und Teakholz-Tischen, außerdem die Balkons und Panoramafenster sowie ausgeklügelt verzweigte Fernsehantennen. Jenseits ragt eine Reihe opulenter Wohnhäuser auf, architektonisch teilweise uneinheitlich, aber alles passt zusammen, nichts beißt sich: 1910 und 1970 begleiten einander in harmonisch koexistierendem Reichtum, das Geld ist wirksam genug, um alle Anachronismen zusammenzuschweißen.

Den Bewohnern dieser Villen scheint gemeinsam zu sein, dass sie Mitte vierzig sind und ihre Brötchen, viele Brötchen, in diversen audiovisuellen Branchen verdienen. Im Einzelnen ist da eine junge Dicke in einem blauen Büro, große Kopfhörer auf den Ohren, die auf ihrem Computer den Text einer Nachbarschaftssendung schreibt, die Baumgartner schon mal gehört hat, sie kommt jeden Tag gegen elf Uhr früh in einem staatlichen Rundfunksender. Dann ein kleiner Rothaariger mit zerstreutem Blick und starrem Lächeln, der sich nur selten von seiner Terrassenliege erhebt, offenbar ist er Produzent oder etwas Ähnliches, denn in Sachen junge Frauen scheint mir bei ihm ganz schön was los zu sein. Sodann eine Kriegsberichterstatterin vom Fernsehen, die nicht oft zu Hause ist, sondern ihr Leben da verbringt, wo es bewaffnete Auseinandersetzungen gibt, sie hüpft mit ihrem Satellitentelefon von einer Mine zur anderen, von den Khmers über die Tschetschenen und Jemeniten zu den Afghanen. Da sie, wenn sie mal hier ist, ihr Leben schlafend verbringt, die Fensterläden als Schutz vor dem Zeitunterschied geschlossen, sieht Baumgartner sie nicht oft, höchstens manchmal auf dem Bildschirm.

Im Augenblick aber sieht er niemanden. Heute früh noch haben auf der Rückseite der vietnamesischen Botschaft fünf oder sechs Diplomaten im Trainingsanzug ihr Tai-Chi absolviert wie jeden Tag. Jetzt aber ist dort



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