Ich dich auch nicht by Sperling Sacha

Ich dich auch nicht by Sperling Sacha

Autor:Sperling, Sacha [Sperling, Sacha]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492952675
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-09-28T16:00:00+00:00


In Shanghai bilden die Autobahnen Kurven, die sich ineinander schlingen wie große Betonzöpfe. Ich habe pausenlos Playground Lover gehört und in meinem Hotelzimmer aus dem Fenster geschaut. Das Gebäude gegenüber wechselte ständig die Farbe. Erst blau, dann gelb, dann grün, dann violett, dann rot, dann orange, dann türkis und wieder blau. Ich fühlte mich leer, nutzlos. Der Hoteldirektor, der meine Mutter und mich begrüßt hatte, hat ständig wiederholt, dass man sich in Shanghai nur einmal umzudrehen bräuchte, um ein neues Gebäude zu entdecken. »Die Stadt wächst, ohne dass man es merkt.« Diese Vorstellung hat mir Angst gemacht. Eine Stadt, in der sich alles verändert, ohne dass man es mitkriegt. Ohne dass man was dagegen tun kann. Die unkontrollierbare Modernität. In Shanghai hat es geregnet. Der Himmel war schwarz, ab und zu sind hellgraue Wolken vorbeigezogen, die wir für Aufheiterungen hielten. Wir sind mit dem Taxi gefahren, haben uns Ziele für unsere Ausflüge gesetzt. Es hat nichts genutzt, die Stadt hat uns völlig vereinnahmt, und wir haben nichts gesehen als die Schatten der Passanten, den dunklen Beton, die schmutzigen Neonlichter. Diese Stadt war brutal, und ich hätte nicht sagen können, ob es warm war oder kalt. An einem Nachmittag, der eher an eine Nacht erinnerte, bin ich allein nach unten auf die Straße vor unserem Hotel gegangen. Plötzlich stand ich vor einer riesigen, mehrstöckigen Spielhalle. Drinnen spielten Kinder, die jünger als ich waren und stierten wie besessen auf Monitore mit grellbunten Bildern. Die Musik war laut, ohrenbetäubend laut. Ich befand mich in der größten Spielhalle Shanghais, vielleicht sogar Chinas. Ich bin zur Theke gegangen, über der eine amerikanische Flagge hing. Eine Chinesin, die sich gerade die Fingernägel lackierte, hat zu mir aufgeblickt und in schwer verständlichem Englisch gefragt: »What do you want?« Ich wusste nicht, was ich wollte, also habe ich ein paar Euros aus meinen Taschen gekramt. Die Chinesin hat mich angesehen, und noch bevor ich was fragen konnte, hat sie zu mir gesagt: »It’s useless.« Etwas an ihrem Tonfall hat mir zu verstehen gegeben, dass sie damit nicht meine Euros meinte. Ich habe gefragt: »Wie bitte?«, und sie hat noch mal »useless« gesagt. Ich habe die Spielhalle verlassen. Auf den Straßen liefen noch immer die Schatten rum. In Shanghai bin ich keinem Menschen begegnet. In Shanghai waren die Menschen nicht gelb, sondern grau. In Shanghai wurden die Hochhäuser wie von Zauberhand und mit größter Gleichgültigkeit gebaut. In Shanghai gingen Tag und Nacht ineinander über, sodass es mir vorkam, als würde niemand jemals schlafen. Useless.



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