Ich bin gleich da by Köhler Anne

Autor:Köhler, Anne [Köhler, Anne]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783832188481
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00

Lebendige und Modellbaufiguren

Die kommenden Tage glichen sich. Elsa wachte im Gästezimmer auf und fand die Wohnung leer vor. Bei einem Kaffee hörte sie die Schallplatte, die Jan am Morgen auf dem Plattenteller liegen gelassen hatte, ausnahmslos schnelle Soul-Stücke, in deren beschwingtem Rhythmus sie die Wohnung verließ. Seit sie als Letzte im Restaurant aufgetaucht war, fuhr sie morgens ein paar Stationen mit der S-Bahn. Vom Bahnhof Dammtor aus lief sie durch den Park. Wenn die Zeit es zuließ, rauchte sie auf der Bank vor dem japanischen Teehaus noch eine Zigarette. Es war umgeben von niedrigen Wasserläufen, in denen sich Goldfische tummelten. Alles dort wirkte wohlplatziert und geordnet. Hölzerne Stege führten übers Wasser.

Kurz bevor Elsa die Telefonzellen erreichte, beschleunigte sie ihren Schritt. Doch der Ruf in ihrem Innern passte sich dem Tempo an, wurde jeden Tag lauter und fordernder, dröhnte durch ihren Kopf. Sie unterdrückte den Impuls, stehen zu bleiben und einen der Hörer abzunehmen, um ihre Mutter anzurufen. Bald rufe ich an. Wenn ich weiß, wo ich bleibe, es kann nicht mehr lang dauern. Ich bin gleich da. Es war zu einem Mantra geworden, das sie beschwörend in sich hineinflüsterte.

Sobald sie sich im Personalraum das Kopftuch umband, verstummte der Ruf. Die Zeit lief in einer anderen Geschwindigkeit ab. Mittlerweile kannte Elsa die Rituale, die den Arbeitstag einteilten. Bei der morgendlichen Besprechung versammelten sich die Köche im Vorraum oder im Hof um einen Tisch mit Brötchen, Honig, Marmelade und Aufschnitt. Sie legten die Tagesempfehlungen fest, die sich aus den Resten an Produkten ergaben, die als Nächstes verbraucht werden mussten. Brunner legte großen Wert darauf, nichts zu verschwenden. Das konnte er sich bei der hochpreisigen Ware nicht leisten. Die Restaurantleiterin kam dazu, um sie über eventuelle Vorbestellungen und Eigenheiten der Gäste zu informieren. Vegetarisch, vegan, lactosefrei, Allergien gegen Nüsse, Steinobst oder Schalentiere, Abneigungen gegen bestimmte Gewürze oder Innereien, die Liste war lang. Die Sonderwünsche hatten in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Wer etwas auf sich hielt, der aß nicht alles, was man ihm vorsetzte, sondern war wählerisch. Mittlerweile hatte sich die Küche ein festes Repertoire für alle Fälle und Jahreszeiten erarbeitet. Die Restaurantleiterin führte akribisch Buch darüber, sodass, selbst wenn zwischen dem Restaurantbesuch einer Person zwei ganze Jahre lagen, der Gast nie dasselbe Alternativ-Gericht zwei Mal angeboten bekam, es sei denn, es war sein ausdrücklicher Wunsch.

Bei dieser Besprechung standen alle unter Strom, denn die Vorbereitungszeit bis zum Mittagstisch war knapp bemessen. Die meisten setzten sich nicht einmal hin, sondern schrieben im Stehen ihre To-dos auf einen Zettel und schoben sich mit der anderen Hand ein Brötchen in den Mund, bevor sie an ihre Posten eilten. Zu Elsa waren sie freundlich, nicht zuletzt weil sie ihnen unliebsame Arbeiten abnahm, die sie sonst selbst hätten erledigen müssen. Noch erwartete man nicht von ihr, eine vollwertige Arbeitskraft zu sein, sondern betrachtete sie als Bonus. Dennoch belastete es sie, so viel langsamer als die anderen zu sein.

Zweimal am Tag, bevor die Restauranttür für die Gäste aufgeschlossen wurde, schallte Louis’ lauter Ruf durch die Küche: »Deck schrubben!« Alle

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