Ich bin Tess by Lotti Moggach

Ich bin Tess by Lotti Moggach

Autor:Lotti Moggach
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783732001347
veröffentlicht: 2014-04-19T22:00:00+00:00


Montag,

22.August 2011

Heute Abend habe ich Annie von Mum erzählt. Eigentlich hatte ich das gar nicht vor, und was mir nun Sorgen bereitet, sind weniger die möglichen Konsequenzen – ich denke nicht, dass sie es irgendjemandem weitersagen wird –, sondern die Tatsache, dass es mir einfach so rausgerutscht ist. Vielleicht stand ich unter Drogeneinfluss. Nicht dass ich selbst welche genommen hätte, natürlich nicht, dafür aber alle um mich herum, sodass die Luft von einem süßlichen Rauch erfüllt war, den einzuatmen unvermeidlich war und der als Resultat eventuell meine geistigen Kapazitäten geschwächt hat.

Es hat sich wie folgt abgespielt: Gegen 15.30 Uhr wurde ich von Annie geweckt, die mich informierte, es sei Zeit, mit den Vorbereitungen für das »Vollmondfest« anzufangen. Auf meine Nachfrage hin erfuhr ich, dass die Kommunenbewohner anlässlich jedes Vollmonds gemeinsam eine Mahlzeit kochten und verspeisten und dass von jedem erwartet wurde, »mit anzupacken«. Ich erklärte, dass mir diese Sitte nicht bekannt gewesen sei und ich nicht teilnehmen würde, aber Annie sagte nur: »Ach, papperlapapp, na komm schon«, und am Ende musste ich tatsächlich von meiner Matratze aufstehen und ihr und den Kindern zur Lichtung folgen.

Vor einem großen Tipi war eine behelfsmäßige Küche aufgebaut worden, mit rostigem, rudimentärem Kochgeschirr und Eimern voller Gemüse auf Tapeziertischen. Ein paar Kommunenbewohner liefen schon geschäftig umher, hackten Zwiebeln, trugen Sachen und strahlten generell mehr Energie aus als die ganze Woche zuvor. Die meisten von ihnen kannte ich schon von meinen Nachforschungen: Davide mit den ultrakurzen Shorts; Johanna, die Deutsche mit den silbernen Augenbrauensteckern; Maria, deren Haar zu dicken bunten Strähnen mit Ringen darum geflochten war, sodass sie aussahen wie Finger; und der Franzose mit der furchtbaren Akne. Deirdre, eine der wenigen aus der Kommune, die nicht dünn waren – sondern eher groß und kantig wie ein Kühlschrank –, schien das Kommando zu haben und verkündete, dass es Gemüseeintopf geben würde. Mir wurde ein Eimer Möhren zugeteilt, die ich zusammen mit Annie, Milo und Bandit, einem schmal gebauten Spanier, klein schneiden sollte.

Nachdem ich einmal damit angefangen hatte, merkte ich, dass mir die Arbeit Spaß machte. Ich konzentrierte mich darauf, die Scheiben möglichst gleichmäßig zu schneiden, jede ungefähr einen Zentimeter dick. Dann arrangierte ich sie wie diese Spielchips, die es in Kasinos gibt, zu Zehnertürmchen. Durch die monotone, methodische Tätigkeit schweiften meine Gedanken ab und mir fielen die Mittagessen bei Granny Margaret wieder ein.

Mum und ich hatten sie dreimal im Jahr besucht, an Weihnachten, Ostersonntag und ihrem Geburtstag, und es gab jedes Mal Möhren aus der Dose. Das waren die einzigen Gelegenheiten, zu denen ich Gemüse gegessen hatte. Mum hatte immer gesagt, ich hätte ziemliches Glück, schließlich zwängen die meisten Eltern ihre Kinder, jeden Tag Gemüse zu essen.

Ich weiß nicht, warum wir sie Granny Margaret nannten; es war ja nicht so, als hätte ich eine zweite Großmutter, von der wir sie hätten unterscheiden müssen. Sie lebte in einem betreuten Wohnprojekt in Kent und hatte die Heizung immer bis zum Anschlag aufgedreht, sogar an Ostern. Auch als Mum die hohen Temperaturen nicht mehr vertrug, weigerte sie sich, die Heizung herunterzudrehen.



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