Honigtot: Roman (German Edition) by Hanni Münzer
Autor:Hanni Münzer [Münzer, Hanni]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492969000
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2015-01-01T23:00:00+00:00
Kapitel 33
Deborah war nach den Weihnachtsferien ans Konservatorium zurückgekehrt. Lediglich in der Welt der Musik konnte sie eine Weile Trost und Ablenkung vom Tod der Mutter erfahren.
Daher fiel es ihr nicht gleich auf, dass Leopold nur noch ins Haus kam, wenn sie selbst im Konservatorium weilte. Wie sollte sie auch ahnen, dass Leopold davor graute, ihr zu begegnen, weil er ihr dann in die Augen hätte sehen müssen?
Leopold war bewusst, dass er sich feige benahm, und er trug schwer an dem inneren Konflikt. Doch er kümmerte sich rührend um Wolfgang, als wollte er an ihm alles wiedergutmachen, was er an der Schwester gefehlt hatte und künftig noch fehlen würde.
An einem Sonntag Mitte März kam Deborah nach der Kirche zu ihm in die Sakristei. Sie beschwerte sich bei ihm, ihn seit dem Tag der Beerdigung der Mutter nicht mehr gesehen zu haben. Sie weinte und schien verwirrt und unsicher, und Leopold hielt sie im Arm und tröstete sie. Er kam sich dabei wie ein gemeiner Verräter vor.
Deborah schniefte: »Wenigstens ist Herr Brunnmann sehr verständnisvoll. Er vermisst meine Mutter auch sehr. Ich glaube, er ist einsam.« Leopold wich ihr aus, indem er ihr ein Taschentuch reichte und Deborah stattdessen fragte: »Du sagst immer noch Herr Brunnmann?«
»Ich weiß, es ist eine dumme Angewohnheit. Ich habe immer Herr Brunnmann zu ihm gesagt. Er hat mich auch schon oft gebeten, ich soll ihn Albrecht nennen, aber es fällt mir schwer. Irgendwie komisch, nicht?« Sie hob den Kopf von seiner Schulter, an die sie sich geflüchtet hatte, und sah ihn direkt an. »Dabei fällt es mir ganz leicht, zu dir Onkel Poldi zu sagen, Onkel Poldi.«
»Fein, fein.« Ihm wurde von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher zumute. Er räusperte sich. »Wie geht's dem Wolferl? Isst er auch schön seine Portionen auf?«
»Ja, unsere Ottilie ist da ganz hinterher. Kann ich dich um einen Rat wegen deines Bruders fragen?«
Genau dies hatte Leopold die ganze Zeit über befürchtet. Erst trieb er das Lamm dem Wolf zu, und nun kam es zu ihm zurück, um ihn um Beistand zu bitten. Er stand ziemlich hastig auf und riss an dem Überkleid, welches er bei der Messe getragen hatte, um es sich auszuziehen. In Wirklichkeit wollte er verhindern, dass Deborah sein bekümmertes Gesicht sah. Er verdammte sich für seine Feigheit.
»Was gibt es denn, meine Liebe?«, sprach er in seine Stola.
»Es ist so: Seit Mutters Tod ist Herr Brunn…, ich meine Albrecht, sehr viel zu Hause und verbringt gern Zeit mit mir. Und gestern hat er mir dann gesagt, dass er für einige Wochen verreisen muss. Er hat mich gebeten, mit ihm zu kommen. Ich habe ihm geantwortet, dass ich mitten im Studienjahr bin und dass ich auch meinen kleinen Bruder nicht allein lassen kann. Aber er hat fast geweint, Onkel Poldi, und gesagt, er weiß nicht, ob er selbst so lange allein bleiben kann. Ich hätte niemals gedacht, dass ihn Mamas Tod so sehr mitnehmen würde. Ich meine, wo er doch immer so einen stabilen Eindruck auf alle gemacht hat. Er tut mir leid. Was soll ich tun, Onkel Poldi? Er ist dein Bruder, du kennst ihn viel besser als ich.
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