Hohelied: Roman (German Edition) by Ken Scholes
Autor:Ken Scholes [Scholes, Ken]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2014-11-09T05:00:00+00:00
Petronus
Der schrille Pfiff zur dritten Warnstufe riss Petronus aus einem leichten Schlaf. Er trat seine Bettrolle zur Seite und lauschte den Flüchen, die die Männer um ihn herum in sich hineinmurmelten, während sie zu ihren Messern, Schwertern und Bögen krochen.
Sie hatten bei Morgendämmerung ein Lager aufgeschlagen, und die Zigeunerspäher hatten den Umkreis gesichert, indem sie sich im Gebüsch oder dem verformten Stein und Glas versteckt hatten, magifiziert, wenn nötig. Nach einem raschen Mahl und einer kurzen Unterhaltung mit Grymlis war Petronus fortgekrochen, um in einer Höhlung zu schlafen, die in ein Gebilde aus geschmolzenem Glas eingekerbt war. Als der Pfiff ihn wachrüttelte, hatte er sich gerade erst in die Anfänge seiner Träume eingefunden.
Petronus blieb im Schatten und wartete, bis sich seine Augen an das Tageslicht angepasst hatten. Der Schattenwurf deutete auf den späten Nachmittag hin. Um ihn herum kauerten abwartend die anderen. Es gab zwar keine Möglichkeit, eine Schar von ihrer Größe gänzlich zu verbergen, aber sie versuchten es zumindest. Als seine Augen sich schließlich an das Licht gewöhnt hatten, bahnte Petronus sich einen Weg zu der Stelle, an der Grymlis mit Rudolfos Leutnant wartete.
Ein brauner Vogel flitzte vorbei und landete im Netz des Offiziers. Der junge Mann zog ihn heraus, seine Finger betasteten die geknotete Botschaft in dem Garn am Bein. »Ein Mann bittet um Audienz«, erklärte er und sah dabei erst Petronus und dann Grymlis an.
»Audienz?«, fragte Petronus und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Mit dem Papst«, fügte der Offizier hinzu.
Grymlis steckte sein Kurzschwert zurück in die Scheide. »Ist er allein?«
»So sieht es zumindest aus. Er hat Vorstellungs- und Empfehlungsschreiben von Introspekt.«
Die Männer wechselten einen Blick, und Petronus versuchte, aus dem alten Hauptmann schlau zu werden. Er erkannte keine Regung und wusste, dass Grymlis auf seine Befehle wartete. »Bereitet das Lager zum Aufbruch vor«, sagte er schließlich. »Und lasst unseren Besucher hereineskortieren.«
Er packte schnell zusammen und wartete im Schatten. Als er dann Geoffrus’ näselndes Wimmern hörte, wurde ihm klar, dass es ein Geräusch gab, das noch unschöner klang als der Pfiff zur dritten Warnstufe.
»Aber ich versichere und bescheinige dir, dass wir eine unterzeichnete Übereinkunft mit dem jetzigen Luxpadre und seinen Regenbogenmännern haben. Deine Hilfe ist nicht erforderlich, Renard.«
Petronus kannte den Namen. Der Sohn von Remus hatte Renard geheißen, und Remus war dem Orden hier drüben ein guter Freund gewesen. Er hörte das leise Lachen einer rauen Stimme.
»Geoffrus, ich zweifle deinen Vertrag gar nicht an. Und ich bin auch nicht hier, um meine Dienste anzubieten.«
Sein Tonfall und die Art, wie Renard bestimmte Wörter betonte, deuteten auf irgendeine Verschlüsselung hin, die Petronus aber nicht näher bestimmen konnte. Als der Mann dann vor seinen Augen auftauchte, war Petronus wie vom Blitz getroffen, so ähnlich sah er seinem Vater: hochgewachsen, schlaksig, mit kurz gestutztem, grau meliertem Haar und strahlend blauen Augen. Der Androfranziner-Talar hing locker an seinem dürren Körper, und seine hohen Stiefel waren abgetragen von den vielen Meilen, die er durch die Ödlande gelaufen war. Er hatte einen langen, schlanken Stab in der Hand, an dessen einem Ende sich ein faustgroßer Kolben befand.
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