Hildegard von Bingen Ein Leben im Licht - Biographie by Heike Koschyk

Hildegard von Bingen Ein Leben im Licht - Biographie by Heike Koschyk

Autor:Heike Koschyk
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Verlag
veröffentlicht: 2012-01-26T05:00:00+00:00


11. Kapitel

Predigtreisen in Zeiten der Unruhe

Das Jahr 1158 ist für Hildegard geprägt von großen Errungenschaften und enormer schöpferischer Arbeit: die Ausstellung der Urkunden durch den Erzbischof von Mainz, die Fertigstellung des Buches über die Feinheiten der verschiedenen Naturen der Geschöpfe sowie durch ihre Kompositionen.

Hildegards Kreativität kennt keine Grenzen. Noch immer schreibt sie zahllose Briefe, komponiert Gesänge und verfasst kleinere theologische Werke.

Auch die Schöpfung eines neuen kryptischen Sprach- und Schriftsystems ist weitgehend abgeschlossen, der Lingua ignota, die aus fast tausend Wörtern aus theologischen und medizinisch-botanischen Bereichen besteht und nur wenigen Eingeweihten geläufig ist – dem Abt Berthold von Zwiefalten zum Beispiel, der sich während seiner Amtsniederlegung zeitweilig auf dem Rupertsberg aufhielt, oder ihrem Probst und Sekretär Volmar, der diese poetischen Wortschöpfungen liebt.

Was ist schöner, als eine Sprache zu sprechen, deren Wörter eine tönende Qualität besitzen und sowohl gesprochen als auch gesungen werden können?

Zuweilen flicht Hildegard Worte der Lingua ignota in die liturgischen Wechselgesänge, die Antiphonen, ein und schafft dadurch eine Verstärkung der dichterischen Ausdruckskraft.

Immer neue Wörter entstehen, viele davon mit dem so nachhaltig klingenden Konsonanten »z«. So steht »Livionz« für Heiland, »Korzinthio« für Prophetin und »Muzimia« für Muskatnuss.

Hildegard bedeutet diese neue Schöpfung viel. In ihren Visionen hört sie immer wieder den Klang dieser fremden Sprache. Sie sieht es als ihre Aufgabe, diese himmlisch anmutenden Worte ins Diesseits zu übertragen.

Es ist die Möglichkeit, dem ersten Wortschöpfer Adam gleich, durch den Klang des Wortes einen geschützten Lebensraum zu domestizieren und die Weltordnung wiederherzustellen – der Versuch, eine Art paradiesische Ursprache zu konstruieren, um diesem ersten Zustand vor dem Sündenfall nahezukommen. Können Worte die Welt verändern?

Die Hintergründe zu Hildegards Sprachschriften sind in der Forschung noch ungeklärt.

Hildegards Kunstwörter basieren auf Wortbildungsmustern der deutschen und lateinischen Sprache. In der schriftlichen Fixierung sind nur Substantive vorhanden, die, einer Art mittelalterlichem Sachwörterbuch entsprechend, zum Großteil Begriffe aus dem Bereich der Naturkunde und aus dem klösterlichen Alltagsleben benennen. Für manche Quellen Grund genug, inhaltsverdunkelnde Funktionen auszuschließen.

Die Korrespondenz mit dem Kloster Zwiefalten weist jedoch auf eine Weiterentwicklung hin, die ebenfalls Adjektive bzw. Partizipien mit einbezieht. Wurde ein Großteil dieser Sprache nur auf mündlichem Wege übermittelt?

Und was für eine Bedeutung hatte die Litterae ignotae, die geheime Schrift, deren 23 Buchstaben nach einem noch unentschlüsselten grafischen System gebildet sind?

Andere Quellen vermuten, dass es sich bei den Sprachschriften um eine Methode zur geheimen Verständigung handelt, deren Entwicklung der Zwiefaltener Abt Berthold bei seinen Aufenthalten in den Jahren 1152–1158 beiwohnte. In der Zwiefaltener Briefhandschrift sind mehrere Schreiben enthalten, die sich dieser Sprache ganz selbstverständlich bedienen.

Für Hildegard waren diese Sprachschriften offensichtlich von großer Bedeutung. Mehrfach wurden sie von der Prophetin neben die großen Visionswerke gestellt. Dennoch bleibt die Verwendung auf ihr nächstes Umfeld begrenzt.

Noch im selben Jahr bricht Hildegard zusammen. Sie hatte sich zu viel zugemutet. Neben dem hohen Arbeitspensum entlädt sich nun auch die lange unterdrückte psychische Belastung im Kampf um die Unabhängigkeit. Jetzt geht nichts mehr, und auch wenn die Äbtissin gerne all die anstehende Arbeit bewältigen möchte, wird sie nun zur Ruhe gezwungen.

Dreißig Tage währt die Krankheit, unter der sie so stark leidet, dass die Nonnen das Schlimmste befürchten.



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