Herzversagen - Kriminalroman by Irene Mürner

Herzversagen - Kriminalroman by Irene Mürner

Autor:Irene Mürner [Mürner, Irene]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2013-01-21T23:00:00+00:00


30.

Nicht genug, dass sie sich krank fühlte, nun stand auch noch Delhi an. Ihre Motivation war auf einem absoluten Tiefpunkt und sie hatte sich überlegt, ob sie sich für den Flug abmelden sollte, was sie sonst nie tat. Aber auch diesmal hatte ihr Pflichtbewusstsein gesiegt, der kratzende Hals und das dumpfe Gefühl im Kopf würden vorbeigehen. Für Rebecca war immer klar gewesen, dass sie fliegen wollte. Obwohl ihr Onkel es ihr auszureden versucht hatte und auch ihre Ersatzmama nicht gerade mit Begeisterung auf ihren Berufswunsch reagiert hatte. Niemals hatte sie ihre Entscheidung bereut und noch heute konnte sie sich keinen passenderen und ausfüllenderen Job vorstellen. Aber es gab Tage, da wünschte sie sich, sie könnte in irgendeinem Büro sitzen oder einem Klassenzimmer stehen, morgens um 7.30 Uhr beginnen und abends um 17.00 Uhr nach Hause gehen. Sie hasste Indien. Und Delhi ganz besonders. Es beelendete sie. Als unfroh und traurig erlebte sie den Subkontinent und obschon sie nur Delhi kannte, hatte sie nie die Lust verspürt, mehr vom kontrastreichen Land sehen zu wollen.

Armut kannte sie aus Südamerika, aus Afrika, auch aus anderen Teilen Asiens. Aber Indien war anders. Dieses professionelle Betteln war schlimmer als die ärmste Hütte in den Hochebenen der Anden oder in den ungeordneten Städten Westafrikas. Die Kinder, die einen mit ihren dreckigen, mageren Fingern an den Kleidern festhielten und aus toten Augen anglotzten. Die jungen Mütter mit den Säuglingen, die sie einem aufdringlich zum Autofenster hineinstießen. Das schlechte Gewissen plagte Rebecca und sie fand es beschämend wegzuschauen, dennoch tat sie es. Alles sah so trainiert, so gelernt aus. Schrecklich, deprimierend, niederschmetternd. Wohl hatte sie sich mittlerweile zumindest ein bisschen an den Anblick des menschlichen Elends gewöhnt, dennoch traf es sie immer wieder mitten ins Herz. Nirgends schien ein Menschenleben so wenig zu zählen, so wertlos zu sein. Das Gewimmel auf den Straßen wirkte rücksichtslos und gleichgültig. Ganze Familien fuhren auf einem einzigen Velo oder Moped. An allen möglichen und unmöglichen Stellen standen Kühe. Autos, Lastwagen und Busse fuhren ohne jegliche Rücksicht auf Verluste durch die engen, überstellten Gassen und hupten lieber ohrenbetäubend anstatt zu bremsen. Auch auf Afrikas Straßen ging es heillos chaotisch zu, aber es war mehr Respekt da. Freude und Hoffnung waren zu spüren. Und irgendwo schien immer auch ein Lachen darauf zu warten, ausbrechen zu dürfen. Nicht diese Aussichtslosigkeit, dieses Fatalistische. Ja, es war bunt in Indien und die Paläste waren märchenhaft schön, aber freuen konnte sich Rebecca nicht daran, weil sie die anderen Bilder nicht losließen. Die Bilder der verstümmelten Glieder und ausgelöschten Gesichter.

Wie gewöhnlich empfing sie die feuchte Schwüle wie eine Ohrfeige, sobald sie das trockene Flugzeug verlassen hatte. Ein Klima, das ihr ganz und gar nicht behagte. Sie war erleichtert, als sie das ›Radisson‹ erreichten, sie auf ihr Zimmer gehen und sich ausruhen konnte. Bereits jetzt fühlte sie sich wie erschlagen von all den exotischen Gerüchen, dem grellen Lärm und dem wimmelnden Leben immer und überall. Sie würde froh sein, wenn der Aufenthalt vorbei war.



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