Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) by Baronsky Eva

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) by Baronsky Eva

Autor:Baronsky, Eva [Baronsky, Eva]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2011-02-22T23:00:00+00:00


Als er am frühen Abend das Blue Notes betrat, fühlten sich die Innenseiten seiner Oberschenkel bereits wund an von dem ungewohnt harten Stoff.

Derart aufgeraut, überkam ihn Lust, die harmonische Welt auf den Kopf zu stellen, wie er es auch am Morgen schon auf dem Papier getan hatte. Er jagte ein paar Kinderlieder durch alle Tonarten, variierte seine Ideen vom Vormittag in noch kühneren Formen und bearbeitete schließlich den ganzen Flügel von tief unten, wo es dumpfte und dröhnte, bis hoch oben, wo es klirrte und schepperte, bis ihm auch das nicht mehr ausreichen wollte.

Nach einer Weile bemerkte er, dass eine Frau mit blondem Stubbelhaar und frechen hellen Augen unentwegt zu ihm herübersah. Ein angenehm aufgekratztes Gefühl machte sich in ihm breit, und er nippte etwa alle zehn Takte an ihrem Blick wie an einem Wein, der ihn allmählich beschwipste. Übermütig erging er sich in dissonanten Akkordfolgen, die er, sobald sie zu ihm sah, einfach unaufgelöst stehenließ.

»Hey!« Zwischen zwei Stücken klopfte ihm Czerny auf die Schulter, sein Gesicht schien noch dunkler als sonst. »Heute übertreibst du es aber ein bisschen mit deiner Akrobatik. Fahr mal ’nen Gang zurück, du überforderst ja die Leute.«

Wolfgang ließ seinen Blick durch das Gewusel der Gäste schweifen und verdrehte die Augen. »O gütiger Himmel, die Armen. Hab einer Erbarmen! Da könnt ihnen einer leicht etwas zu viel abverlangen, nicht wahr, auf dass sie ihre Ohren gebrauchen müssten – und das Hirn noch obendrein. O nein. Das wird nicht geschehen, mein liebster, bester Czerny, sei ganz und gar ohne Sorge.«

Wolfgang drehte ihm eine Nase hinterher und spielte leiernd den Donauwalzer. Seine Zähne schabten im Takt aufeinander. Als ein paar Gäste zu grölen anfingen, musste er wider Willen lachen und ließ sich schließlich in jene schlampig-weiche Phrasierung fallen, die sein Gemüt noch jedes Mal wieder zur Ruhe kommen ließ.

Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, über sämtliche Strauß-Walzer, die er auf Piotrs CDs gehört hatte, zu improvisieren. Während er die Musik achtlos aus seinen Fingern in die Tasten laufen ließ, grübelte er darüber nach, wie er die Erkenntnis, die ihn bei Singlinger ereilt hatte, auf eine Opera übertragen konnte.

Etwas ließ ihn aufhorchen. Jemand spielte ihm zu. Ein Saxophon! Wie lange antwortete er schon darauf? Als er hochsah, blitzten zwei helle Augen mit dem Metall um die Wette. Der ganze Raum schien ihm in Gold getaucht, und Ameisen krabbelten durch seinen Körper.

Sie spielte elegant und frech zugleich. Er warf ihr ein paar Töne hin, und sie fing sie auf, hantierte damit wie ein Jongleur und pfefferte ohne Vorwarnung zurück. Wolfgangs Atem ging rasch, er spürte, dass ein Lächeln auf sein Gesicht getreten war, das sich nicht fortwischen ließ, ein Grinsen beinahe; immer näher schickte er seine Töne, bis er glaubte, ihren Körper damit zu berühren. Dann wechselte er das Tempo, ließ die Musik zart ihre schlanken Arme streicheln und sanft über ihren Nacken fahren.

Sie sah Wolfgang an, unendlich lange, wie ihm schien, dann kehrte ihr Blick zu ihrem Instrument zurück, und ihr Mund zuckte kurz, als wolle sie lächeln.

Wolfgang rieb sich die Hände an seiner Jeans trocken.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.