Helmut Schmidt – Der letzte Raucher by Martin Rupps
Autor:Martin Rupps
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Herder Verlag
veröffentlicht: 2011-03-14T16:00:00+00:00
„Coole Socke“ – der Mehrgenerationenkanzler
In Deutschland gibt es viele Mehrgenerationenhäuser, aber nur einen Mehrgenerationenkanzler. Er heißt Helmut Schmidt.
Helmut Schmidt hat mit jetzt über 90 Jahren einige Generationen in Deutschland erlebt – und einige Generationen ihn, den Politiker und politischen Autor. Doch ein langes Leben allein macht noch keinen Mehrgenerationenkanzler. Dazu bedarf es einer aktiven Beziehung und Auseinandersetzung zwischen den Generationen und diesem Kanzler.
Schmidt selbst hat seine persönliche Prägung häufig als Prägung einer Generation, der „Kriegsgeneration“, beschrieben. Es ist die Generation der Frauen und Männer, die 1933, als Adolf Hitler Reichskanzler wurde, in ihrer Jugend standen. Helmut Schmidt selbst war damals gerade 14 geworden. Diese jungen Leute wussten von der kürzlich untergegangenen Weimarer Demokratie fast nichts. Sie gerieten, wenn die Eltern auf die Lockungen des Nationalsozialismus ansprachen, in den Sog einer „braunen“ Erziehung. „Meine Eltern bemühten sich“, erinnert sich Helmut Schmidt in einem autobiografischen Beitrag für das SPD-Monatsheft „Neue Gesellschaft“ 1968, „den Einfluss der NS-Propaganda auf ihre beiden Söhne möglichst klein zu halten, ohne ihr jedoch direkt entgegenzutreten.“
Helmut Schmidt mochte persönlich Glück gehabt haben – doch „seine“ Generation wurde im prägenden Alter von falschen Werten getäuscht und fehlgeleitet. Nach Schulzeit und Militärdienst hätte das Berufsleben beginnen sollen, doch der Zweite Weltkrieg machte einen normalen Lebensplan zunichte. Fünfeinhalb Jahre mussten die Männer dieser Generation im Namen des NS-Regimes Krieg führen. 1945, nach dem Untergang von Nazi-Deutschland, standen die Angehörigen dieser Generation vor dem Nichts – moralisch, politisch und persönlich. Sie waren traumatisiert von den Notjahren im Krieg und von dem Elend, dem Morden und Sterben, das sie an der Front erlebt hatten. Das wurden Prägungen fürs Leben. Und sie waren, was politische Ideologien angeht, desillusioniert. „Kaum jemand aus den Generationen vor oder nach uns kann sich unsere damalige Lage richtig vorstellen“, schreibt Schmidt in seinem Beitrag. 1945 ging eine „jahrelange Überforderung“, so Schmidt wörtlich, zu Ende.
Die Angehörigen dieser Generation zogen sich nach diesen Traumata trotzdem nicht in Stubenhocker-Berufe zurück, sondern begannen, sich für das öffentliche Wohl zu engagieren. Sie wurden Bürgermeister, Ratsherren, Gewerkschaftsführer, Generäle, Journalisten oder – wie Helmut Schmidt – Abgeordnete in deutschen Parlamenten. Für Schmidt persönlich war in dieser Zeit ein rascher Aufstieg, eine Karriere möglich, seine politische Ambition war es, ein besseres Deutschland zu schaffen. Die Not zu lindern und zu beheben, aus früheren Fehlern zu lernen. Oder in Schmidts Worten: Der Kriegsgeneration ist die Fähigkeit, „praktisch und unmittelbar Nützliches für das Ganze zu leisten“, wichtiger als eine Utopie oder ein theoretisches Fernziel.
Wenn sich Helmut Schmidt 2010 in einem „Cicero“-Gespräch darüber erregt, dass die heutigen Politiker gar nicht wüssten, was Krieg sei („deswegen sind sie auch leicht dabei, irgendwo einzumarschieren“), spricht er als Angehöriger der Kriegsgeneration. Und bildet als solcher sein politisches Urteil.
Die nächste Generation, die Helmut Schmidts Werdegang begleitete, sind die Mitte / Ende der dreißiger Jahre Geborenen, die, wenn sie Glück hatten, „kinderlandverschickt“ wurden, aus besonders gefährdeten Regionen evakuiert, um sie von der Hölle des Krieges möglichst zu verschonen. Kinder, die etwa in den Großstädten in der Familie blieben, erlebten Schlimmes, standen etwa nach einer Nacht im Luftschutzkeller vor den brennenden Trümmern des Hauses, das gerade noch Heimstatt gewesen war.
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