Heidelberger Requiem by Wolfgang Burger
Autor:Wolfgang Burger [Burger, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-12-28T23:00:00+00:00
Als ich halb verhungert und gänzlich frustriert mein Büro wieder betrat, erwarteten mich zwei vor Zorn glühende Teenager mit blitzenden Augen und zweistimmigem Gezeter. Meine Sekretärin stand mit betretener Miene dabei und rang die Hände.
Ich hatte sie vergessen. Meine Töchter. In ihrer neuen Schule. Ich, ihr »leibhaftiger« Vater, hatte meine Kinder vergessen. Sie meinten natürlich ihren »leiblichen« Vater. Ich würde darüber nachdenken müssen, was das bedeutete. Meine Kinder vergessen. In der Fremde. Ganz allein. Unter lauter unbekannten Menschen. Ich hasste diesen Tag.
Ungefragt erfuhr ich, dass sie eine halbe Stunde auf mich gewartet hatten, vor dem Grabstein-Geschäft, wie wir es verabredet hatten. SchlieÃlich hatten sie einen Streifenwagen angehalten und den verdutzten Jungs erklärt, sie seien die Töchter des neuen Polizeipräsidenten und wünschten, ins Büro ihres berühmten Vaters chauffiert zu werden. Nach einigen Telefonaten hatten die Kollegen ihnen den Gefallen getan und sie in die Obhut meiner braven Sekretärin übergeben. Inzwischen hatten sie viel Fürsorge genossen, reichlich gegessen, unter anderem je drei Portionen Karamellpudding, und konnten sich voll und ganz auf ihre Empörung konzentrieren.
Wieder einmal fiel mir auf, wie gut sie aufeinander eingespielt waren. Ihre Gehirne arbeiteten vollkommen synchron. Sie waren imstande, sich beim Sprechen mitten im Satz abzulösen, ohne dass man den Wechsel überhaupt bemerkte. Dadurch entfiel bei ihnen jede Atempause. Ich hatte nicht die geringste Chance, zu Wort zu kommen.
Seufzend spendierte ich ihnen schlieÃlich einen Zwanziger und die Erlaubnis, sich dafür zu kaufen, was sie wollten. Beim Anblick des Geldscheins beruhigten sie sich fast augenblicklich. Dennoch hatten sie unverkennbar mit mehr gerechnet.
Dann trommelte ich meine Leute zusammen und lieà mir Bericht erstatten. Wir waren keinen Schritt weitergekommen.
Vangelis hatte noch einmal mit dem Zeugen gesprochen, der in der Nacht auf Freitag den älteren Mann in der Nähe der Baustelle gesehen haben wollte. »Viel ist ihm nicht eingefallen, auch nachdem er wieder nüchtern war. Einsfünfundsiebzig bis einsachtzig soll er groà gewesen sein, fünfzig bis fünfundsechzig Jahre. Und graue Haare, lange graue Haare hat er gehabt. Dann meint der Zeuge noch, der Mann könnte ein wenig gehinkt haben. Aber da ist er nicht sicher. Es war ja stockdunkel. Ich habe mir die Beleuchtung bei Nacht angesehen. Viel sieht man da wirklich nicht.«
»Wie glaubwürdig ist dieser Zeuge?«
Sie hob die Schultern. »Er ist kein Spinner. Aber er war in der fraglichen Nacht eben ziemlich blau.«
Mangels besserer Ideen beauftragte ich Runkel, ein wenig in Helen Gardeners Vorgeschichte herumzustöbern und herauszufinden, womit sie früher ihr Geld verdient hatte und wovon sie heute lebte. Die merkwürdige Reaktion ihres Sohnes auf diese einfachen Fragen ging mir nicht aus dem Kopf.
Vermutlich war ich einfach zu frustriert und wütend, um schnell zu schalten. So waren sie schon in der Tür, als ich endlich zu mir kam. Ich rief Vangelis zurück und berichtete ihr von Balkes Theorie, dass auch Patrick Grotheers Mörder ein Bein nachgezogen hatte. Sie setzte sich und sah mich lange an.
»Er hat lange graue Haare, er hinkt â¦Â«, flüsterte sie, während ihre Augen gröÃer und gröÃer wurden.
SchlieÃlich nickten wir beide völlig gleichzeitig, und ich griff zum Telefon. Sekunden später hatte ich die Stationsschwester am Apparat.
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