Hasenleben by Jens Steiner

Hasenleben by Jens Steiner

Autor:Jens Steiner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dörlemann Verlag AG, Zürich
veröffentlicht: 2011-08-17T16:00:00+00:00


Anders endemisch

Die Häuser in einem so hellen Weiß, dass man beinahe Kopfschmerzen davon bekam. Jungfräuliche Klötze, frisch von unten hinausgestoßen aus dem spröden Boden. Die Landschaft erdgelb, schroff. Serifos im Frühling.

Als sie die Fähre verließ und die Insel betrat, hoffte sie, auf festes, massives Land zu gelangen, hoffte, die Insel würde sie in Schutz nehmen. Aber noch immer war das träge wiegende Schweben des Schiffes in ihr, noch immer war sie selbst dieses Schiff. Sie schwamm über den steinernen Kai. Sie musste sich setzen.

Das Ausklarieren, tägliche Prozedur und Herz der Inselwirtschaft. Eine Menschenansammlung, die sich erst verdichtete, dann zerfaserte, zwischen routinierten Bewegungen mäanderten tölpelige Neubesucher und störten die Warenflüsse, ihre Augen suchten und fanden nicht, dann allmählich wurden sie an den Rand des Pulks sortiert, wo sie sich schließlich hinstellten und ihre Broschüren studierten. Ein dicker Mann mit Herrenhandtasche holte ein Taschentuch aus seiner voluminösen Hose, tupfte sich Gesicht und Nacken ab, wobei er mit dem Ellbogen die Baseballmütze einer rauchenden Altdame auf den Boden spedierte, die Dame drehte sich um, ihre Zigarette brannte ein Loch in sein Taschentuch, ein Jüngling hob die Mütze auf und streckte sie ihr hin, der Dicke ließ das Taschentuch unbesehen in der Zauberhose verschwinden.

Sie fand ein Mäuerchen. Sie setzte sich. Da war sie also wieder. In der Szenerie, aus der sie erst gerade hinausgetreten war. Das erbarmungslose Licht und die Mäuerchen – so verbanden sich die Mittelmeerländer zu einem einzigen Freilichtpark, in dem seine Besucher aus dem Norden dumm und nutzlos herumstanden, bis sie es den Bewohnern nachmachten und sich etwas verschämt ebenfalls ein Mäuerchen suchten oder eine schattige Hauswand. So bewegte man sich in dem Licht und trug zugleich in sich die Hoffnung, ihm endlich einmal zu entkommen. Die Hoffnung lag einem wie ein rauer Pfirsichkern in den Eingeweiden. In den schwachen Momenten machte sie sich bemerkbar als Schmerz im Steißbein, als Schlag auf die starren Teile des Skeletts. Und doch blieb man im Licht, betete es an, wie süchtig, als ob es einen irgendwann an einen Punkt bringen würde, von dem man noch nicht wusste, was er bedeuten sollte.

Emma beobachtete das Treiben. Jungmänner mit Autoschlüssel suchten sich ihre Ankömmlinge aus, nahmen ihnen die schweren Koffer ab. Der Mann mit der Fallschirmhose saß in einem Wagen, konnte aber die Tür nicht schließen, das Auto fuhr los, die Tür schlug zu, im Fenster noch kurz sein abgekämpftes, leicht verzweifeltes Gesicht, dann war auch er weggebracht.

Innerhalb von zehn Minuten war der Kai fast leer. Zwei Sitzengebliebene mit Zigarette auf einer Bank, hinten bei der Hafenkneipe einer auf seinem aufgebockten Roller, ein paar Katzen. Emma streckte sich, stand vom Mäuerchen auf, marschierte die Straße hoch ins Städtchen auf dem Hügel. Ein Schild an einer Hauswand, unlesbar, mit Telefonnummer. Emma klopfte. Eine Frau erschien, Emma deutete auf das Schild, die Frau musterte Emma mit verkniffenen Augen und ließ sie eintreten.

Das Zimmer hatte keine Toilette und keine Dusche, aber ein hohes, großes Bett, eine Kommode, zwei Fenster und darunter einen Emailkrug mit Wasser. Die Fenster waren klein, gingen beide auf eine enge Gasse hinaus, durch die manchmal ein Motorrad röhrte.



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