Harder, better, faster, stronger. Die geheime Geschichte des englischen Fußballs by Raphael Honigstein

Autor:Raphael Honigstein [Honigstein, Raphael]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462410334
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG

(Ich ringe mit Gedanken/weiß nicht, wo ist der Beginn, das Wunder in Worte zu fassen/das ist Jimmy Hills Kinn.)

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Music, fashion, football – die heilige Dreieinigkeit

Es gibt auf der Insel Menschen mit Sinn für Ästhetik, die überzeugt sind, dass Manchester United das Champions-League-Finale von 1999 völlig zu Recht gewonnen hat. Nicht, weil die Red Devils die bessere Mannschaft gewesen wären. Die Bayern hätten dem Europapokal einfach nicht den nötigen Respekt entgegengebracht, lautet die These. Wer vor der Partie wie Carsten Jancker und Co. in blau-roten Trainingsanzügen, weißen Socken und Adiletten über den Rasen des Nou Camp schlurft, darf sich später nicht wundern, wenn das Schicksal zurückschlägt. Zum Vergleich: Die United-Spieler trugen vor Anpfiff maßgeschneiderte Anzüge von Versace. Für das erfolgreiche englische Pokalendspiel am Samstag zuvor war übrigens Prada der Ausstatter gewesen.

Dass Leute, die wie Sieger aussehen, öfter gewinnen, ist in England ein weit verbreiteter Glaube. »If you can’t beat them, look as if you can« (Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann sehe wenigstens so aus, als ob du es könnest), ist der Mindestanspruch. Das ist keine Frage von Oberflächlichkeit, sondern von Kommunikation. Die überaus wichtige Bedeutung der Mode in der englischen Gesellschaft hat man dem im Vergleich zu anderen europäischen Staaten stark ausgeprägten Klassensystem zu verdanken. Starke Kontraste schärfen den Blick für Unterschiede. Kleidung ist wichtig, weil sie signalisiert, woher man kommt, wer man ist und wer man sein will. Nur die ganz Reichen können es sich leisten, wie Arme angezogen zu sein. Für den Rest der Masse gilt es, aus Gründen des Stolzes und der Ambition so smart wie möglich auszusehen. In Illustrationen aus dem späten 19. Jahrhundert sieht man, dass die schon damals als hooligans bekannten jungen Tunichtgute größten Wert auf modische Eleganz legten.

Was das mit dem Fußball zu tun hat? Alles. Denn der Fußball ist seit über hundert Jahren der Sport der englischen Arbeiterklasse. Es gelten also die gleichen Regeln. Noch bis in die siebziger Jahre hinein feierten englische Kicker ihren Profivertrag nicht im Pub, sondern beim Schneider: Ein maßgeschneiderter Anzug galt als untrügliches Zeichen dafür, es geschafft zu haben.

Profis müssen zu Spielen in Anzügen anreisen, weil sie den Verein repräsentieren. Anzüge sind Haltungsmaschinen, sie zwingen einen, aufrecht und mit breiter Brust zu gehen. Selbst die Kicker von Humpty Dumpty FC in der untersten Londoner Pub-Liga würden nicht im Traum daran denken, ohne Sakko und Hose zum Pokalfinale gegen Pissed United zu kommen. (Die Spielerfrauen tragen dazu Cocktailkleider.) Wenn die Profis im Cup-Finale in Wembley bzw. Cardiff antreten, wird schon Wochen vorher berichtet, wer die Ausstatter sind. Manchester Uniteds FA-Cup-Sieg gegen Liverpool von 1996 ist als das white suits final in die Annalen eingegangen. Die Reds hatten cremefarbene Armani-Anzüge getragen. Das Resultat (1:0, Cantona) ist längst vergessen.

Fußball ist immer auch eine Stilfrage, weil Fußball Pop ist. Aus deutscher Sicht fing das ungefähr bei Mehmet Scholl, ran und Bravo Sport an. Doch wenn jetzt immer wieder mit leicht gerümpfter Nase attestiert wird, die Bundesliga sei Teil der Spaßgesellschaft geworden, vergisst man leicht, dass es im spirituellen Heimatland des Spiels nie anders war.

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