Hammesfahr, Petra by Hoerig
Autor:Hoerig
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Schon in der letzten Probestunde hatte Edmund begonnen, den Eindruck zu mildern, den Paul seiner Jüngsten aufgedrängt hatte. Er las Patrizia ebenfalls aus den Vernehmungsprotokollen vor, wie ihr Vater es wochenlang getan hatte. Allerdings hatte Edmund ein paar relativ harmlose Stellen herausgesucht. Kein Wort von Gewalt, wann immer der Name Retling auftauchte, umging er diese Passage mit ein paar eigenen Worten. Satz für Satz fügte er das Bild wieder zusammen, das sie seiner Einschätzung nach ursprünglich von Schramm gehabt hatte.
Heiko Schramm, der edle Ritter. Der sich unglückseligerweise von einem geldgierigen Freund überreden ließ, eine Dummheit zu machen. Der vermutlich gehofft hatte, auf die Weise etwas Geld für eine glückliche Zukunft mit der Liebe seines Lebens zu erhalten. Leider war der tolle Plan gescheitert.
Nun musste der edle Ritter darauf vertrauen, dass die holde Maid, die er mehr liebte als sich selbst, ihn gut genug kannte, um genau zu wissen, wie viele von den Worten, die er im Polizeiverhör und bei Gericht ausgesprochen hatte, den Tatsachen entsprachen: nämlich kein einziges.
Patrizia ließ nicht erkennen, ob sie Edmund überhaupt zuhörte. Einmal meinte er zwar, die Andeutung eines zärtlichen Lächelns auf ihrem Gesicht zu sehen. Doch das konnte auch eine optische Täuschung sein, vielleicht ein Lichtreflex.
Kein Zugang zur Patientin, notierte er anschließend wieder, erklärte sich aber trotzdem bereit, ihre Behandlung zu übernehmen. Zum einen hatte ihn der Ehrgeiz gepackt, er fühlte sich persönlich herausgefordert von diesem Rasputin, der auf dem Zeitungsfoto so siegessicher den einen Arm hochreckte, während er mit dem anderen seine menschliche Beute an sich presste, als wolle er der Welt zurufen: «Seht her, was ich kann.» Den Kerl musste doch jemand in die Schranken weisen und ihm seine Beute entreißen.
Zum anderen tat Patrizia ihm leid. Schuldig geworden, weil sie gerne träumte. Weil sie sich einen Stein für die Fensterbank wünschte und den schwarzen Mann traf, der vorgab, an Träume zu glauben, und versprach, einen der schönen Träume zu erfüllen. Und nun war der Mann weg, und der Traum war weg und die Steine ebenso.
Aber Edmund brauchte sich nicht lange darum zu bemühen, das Bild wieder aufzubauen, das sie monatelang von Schramm gesehen hatte. Ihr Vater und ein Richter hatten es wirklich nicht zerstören können. Nur angekratzt und mit Dreck beworfen hatten sie es, das signalisierte ihm ihr Lächeln. Es war wohl doch keine Sinnestäuschung gewesen, wurde von Therapiestunde zu Therapiestunde intensiver, wenn Edmund sich über den armen, edlen Ritter hinter Gittern ausließ. Es dauerte nicht lange, dann kamen auch die ersten zustimmenden Gesten und Bemerkungen. Ein Kopfschütteln oder Nicken, ein gehauchter Kommentar.
Seine Erkenntnis änderte nichts an Edmunds Vorgehensweise. Er kam nur schneller zu Teil zwei. Weil sich die Methode des Vorlesens bewährt hatte, machte er damit weiter – allerdings ohne schönfärberische Anmerkungen. Da blieben die Gesten und Kommentare wieder aus. Wie zu Anfang saß sie vorne auf der Sesselkante, allerdings wirkte sie nicht mehr apathisch. Manchmal war nur ihr Gesicht, manchmal ihr gesamter Körper in Aufruhr.
Als Edmund zu Beginn der achtzehnten Stunde erneut den dicken Ordner vom Beistelltisch nahm, spannten sich ihre Schultern an.
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