Haas Wolf by Komm sußer Tod

Haas Wolf by Komm sußer Tod

Autor:Komm sußer Tod [Tod, Komm sußer]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-06T11:23:57+00:00


9

Der Brenner war bestimmt nicht ein Mensch, der immer gleich das Schlimmste befürchtet hat. Im Gegenteil, bei der Polizei ist es ihm ein paarmal passiert, daß er einen Einsatz verpaßt hat, weil er geglaubt hat, Fehlalarm. Und dann dreifacher Aufwand, bis man die Sache unter den Teppich gekehrt hat.

Jetzt natürlich doppelt alarmierend, wenn so einer sofort das Schlimmste befürchtet. Nach fünf Minuten hat er das Warten nicht mehr ausgehalten und hat die Frau Rupprechter einfach im Auto sitzengelassen. Er ist zur Imbiß-Rosi hinübergelaufen und hat sie gefragt, ob sie nichts vom kleinen Berti gesehen hat.

«Frag doch in der Wäscherei», hat ihm die Rosi geraten. «Da sehen sie direkt auf den Parkplatz hinaus.»

«Wo ist die Wäscherei?»

«Gleich da drüben, wo sie die verspiegelten Fenster haben.»

Der Brenner hat sich noch ein bißchen gewundert, daß sie ausgerechnet bei der Wäscherei verspiegelte Fenster haben. Aber wie er hineingekommen ist, hat er gewußt, wieso. Es wäre nicht die Rosi gewesen, wenn sie nicht «Wäscherei» zur Leichenwäscherei gesagt hätte.

In der Schule hat der Brenner einmal am Tag der offenen Tür die Puntigamer Brauerei besichtigt. Natürlich Freibier, und dieser erste Vollrausch seines Lebens war so fürchterlich, daß es auch sein letzter geblieben ist. Bei der Besichtigung war er aber noch nüchtern, und da sind sie in eine riesige Halle geführt worden, so groß wie ein Hallenbad und alles verfliest. Aber kein Schwimmbecken, sondern eine Badewanne neben der anderen, weil da lagert das Bier, bis es reif ist. Und wie der Brenner damals in diese kühle Bierhalle gekommen ist, war sein erster Gedanke: So stelle ich mir eine Leichenwäscherei vor.

Und war kein schlechter Gedanke für einen Fünfzehnjährigen! Hier war zwar im einzelnen alles anders: nur zwei Badewannen, und dafür die Kühlschrankwand und die Tische und die Rollbahren mit den Leichen drauf, aber der Gesamteindruck trotzdem sehr ähnlich. Und sogar der junge Arbeiter im weißen Kittel hat den Brenner jetzt an den Puntigamer Brauingenieur erinnert, der damals die Führung gemacht hat.

Er ist aber kein Leichenwäscher gewesen, sondern Spezialaufgabe. Weil in so einem riesigen Krankenhaus wie dem AKH fallen natürlich viele amputierte Gliedmaßen an, und die müssen entsorgt werden. Der Embryo kommt in die Hautcreme, der hat eine Wiederverwendung, aber zum Beispiel ein Raucherbein hat keine Wiederverwendung. Und das kann man nicht einfach in die Mülltonne werfen.

«Guten Tag, womit kann ich dienen?» hat der junge Mann höflich gefragt, aber ohne aufzuschauen, weil es hat ihn gerade ein bißchen mit dem Bein gefuxt, das fast zu lang für den Ofen war. «Die Kollegen sind gerade alle auf Mittagspause.»

Der Brenner hat sich so gewundert, daß hier so ein junger, intelligenter Mensch arbeitet, daß ihm fast seine Frage nicht mehr eingefallen wäre. «Ich suche meinen Kollegen.»

Der Arbeiter hat die Ofentür hinter dem Bein zugemacht und sich zum Brenner umgedreht: «Hier ist er nicht dabei?» hat er auf die fünf, sechs Leichen gedeutet, die offen herumgelegen sind.

«Mein Kollege ist nicht tot», hat der Brenner gesagt. Aber vollkommen sicher kann er sich in dem Moment auch nicht mehr gewesen sein, sonst hätte er nicht doch vorsichtshalber einen Blick auf die Leichen geworfen.



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