Hörigkeit des Herzens by Marie Louise Fischer

Hörigkeit des Herzens by Marie Louise Fischer

Autor:Marie Louise Fischer [Fischer, Marie Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2017-04-20T00:00:00+00:00


'Sonst würde ich nicht fragen.'

Verlegen fuhr er sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken. 'Wahrscheinlich wundert es dich, daß niemand mich besucht.'

'In der Tat.'

'Weißt du, ich bin nicht von hier. Ich komme aus Oberbayern, genauer gesagt aus Rosenheim.'

'Du warst nur zu Besuch hier?'

'Nein, das auch nicht. Ich studiere Informatik. Anfangs habe ich in einer Wohngemeinschaft gelebt. Aber da war es mir zu laut. Ein zu großes Durcheinander, wenn du verstehst, was ich meine. Da habe ich mich zurückgezogen. Ich wollte so zügig wie möglich mit meinem Studium fertig werden.'

'Heimweh?'

'Das auch.'

'Warum bist du dann überhaupt nach Berlin gegangen?'

'Wegen dem Wehrdienst. Den wollte ich mir sparen.' › Wegen des Wehrdienstes‹, hätte Eva ihn beinahe verbessert, denn korrektes Deutsch lag ihr am Herzen. Aber da sie nicht oberlehrerhaft wirken wollte, sagte sie nur: 'Ach so.'

'Aber nach der Wiedervereinigung mußte ich dann doch zur Musterung.'

'Und? Haben sie dich genommen?'

'Ja. Im Frühjahr muß ich einrücken.' Er warf einen Blick auf sein Gipsbein. 'Aber wer weiß, ob sie mich damit noch wollen.'

'Ich wünsche, daß du wieder ganz gesund wirst!' sagte sie aufrichtig. 'Ich finde, ein Hinkebein ist die Sache nicht wert.'

'Ist das dein Ernst?' fragte er zweifelnd.

'Unbedingt. Der Militärdienst dauert fünfzehn Monate, die Zeit geht rum, aber auf deine Beine wirst du ein ganzes Leben angewiesen sein.'

'Es tut gut, mit dir zu reden, Eva. Ich habe lange nicht mehr mit jemandem geredet, so privat, meine ich. Ich habe mir eingebildet, niemanden zu brauchen. Jetzt weiß ich, daß das ein Fehler war.' Er nahm ihre Hand. Eva überließ sie ihm. 'Und jetzt erzähl mir mal, was du mitten in der Nacht auf der Straße zu tun hattest.'

'Ich habe gejoggt.'

Eva sah ihn aus großen Augen an. 'Was hast du?'

'Ich hatte einen dicken Kopf. Ich hatte zu viel gelesen, zu viel gelernt, zu viel geraucht. Und da dachte ich, ein kleiner Trab an der frischen Luft würde mir guttun.'

'So was Verrücktes!'

'Findest du? Mir kam das ganz normal vor. Ich hatte es schon oft gemacht.'

'Du hast nicht nach links und rechts gesehen.'

'Kann schon sein.'

'So ein Pech aber auch.'

Die anderen Besucher gingen, neue kamen. Eva und Titus achteten nicht darauf. Sie merkten auch nicht, daß Dr. Arnold, gefolgt von einer Schwester, eintrat. 'Darf ich die Besucher bitten, mich einen Moment mit den Patienten allein zu lassen', sagte er.

Eva sprang auf, als fühlte sie sich ertappt; sie errötete. Das Lächeln des Arztes erschien ihr sardonisch.

'Du gehst doch noch nicht?' bat Titus.

'Nein, nein, ich bin gleich wieder da', versprach Eva und drängte hinter den anderen Besuchern auf den Flur hinaus.

Es dauerte gute zehn Minuten, bis Dr. Arnold und die Schwester das Krankenzimmer verließen.

'Na, Sie scheinen ja wirklich das Talent zu haben, den Patienten aufzumöbeln, Fräulein Silbert!' sagte er im Vorbeigehen.

Diesmal errötete sie wenigstens nicht. 'Sind Sie mit seinem Zustand zufrieden, Herr Doktor?'

'Er könnte nicht besser sein.' Der gestärkte weiße Mantel rauschte, als der Arzt weitereilte.

Bei ihrer Rückkehr ins Zimmer entdeckte Eva einen freigewordenen Stuhl, schnappte ihn sich und stellte ihn neben das Bett von Titus. 'Hat der Doktor was gesagt?' fragte sie.

'Naa', sagte er, 'nichts.



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