Grenzen der Liebe · Nähe und Freiheit in Partnerschaft und Familie by Otto Bettina & Jellouschek Hans

Grenzen der Liebe · Nähe und Freiheit in Partnerschaft und Familie by Otto Bettina & Jellouschek Hans

Autor:Otto, Bettina & Jellouschek, Hans [Otto, Bettina & Jellouschek, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch-Beziehung
ISBN: 9783608945928
Herausgeber: Klett-Cotta Verlag
veröffentlicht: 2013-11-04T00:00:00+00:00


Stief-Geschwister

Wir haben in den vorausgehenden Kapiteln die Wichtigkeit und Eigenständigkeit des »Geschwister-Subsystems« betont. Dies gilt natürlich auch für die Patchwork-Situation. Allerdings müssen auch hier wiederum die spezifischen Grenzen beachtet werden: Es wäre zum Beispiel ein sinnloses und schädliches Unterfangen, von Max zu verlangen, dass er die Kinder von Hermann von vornherein als »Geschwister« betrachtet. Zunächst sind sie nichts anderes für ihn als »Fremde«. Natürlich ist der Wunsch der Erwachsenen verständlich, dass sie sich verstehen und einander so vertraut werden wie Geschwister. Dies gäbe ihnen ja wieder das schöne Gefühl, eine »vollständige«, »richtige« Familie zu sein. Aber es entspricht nicht der Realität.

Es kann sein, dass sich die Kinder der jeweiligen Partner interessant finden und mit der Zeit gute Beziehungen aufbauen, freundschaftliche oder auch wie ältere zu jüngeren Geschwistern, aber es kann auch sein, dass sie trotz aller Bemühungen des neuen Paares einfach nichts miteinander anfangen können. Dann wird es wohl so sein müssen – im Blick auf unser Beispiel gesprochen –, dass an dem Wochenende, an dem Marian und Anna ihren Vater Hermann besuchen, dieser etwas mit ihnen allein, und in dieser Zeit Ella mit ihrem Max allein etwas unternimmt, und beide dieses Getrennt-Sein im Interesse ihrer Kinder akzeptieren …

In unserem Beispiel ist es so, dass Hermann und Ella auch noch ein gemeinsames Kind, die kleine Livia, haben. Viele Patchwork-Eltern verzichten auf eigene Kinder, oft deshalb, weil sie dies den Kindern aus ihren ersten Ehen nicht zumuten wollen. Und zweifellos ist es häufig so, wie Hermann und Ella es bei ihren Kindern festgestellt haben: Dass die Ankunft von Livia ihre Kinder, vor allem die »nur« zu Besuch kommenden von Hermann, deutlich verunsicherte: »Werden wir dann noch für Papa interessant sein? Wird er dann noch für uns Zeit haben?«

Solche Gedanken und damit verbundene Gefühle lassen sich immer wieder feststellen. Dennoch ist auch zu sagen: Das gemeinsame Kind in der Patchworkfamilie kann auch viel Positives auslösen. Es schafft eine zusätzliche und sehr tiefe neue Verbindung auf der Paar-Ebene: Nun verbindet die beiden auch das gemeinsame Eltern-Sein. Das ist für sie zweifellos ein Zugewinn. Die Verbindung durch die kleine Livia bewirkte auch bei Hermann und Ella ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und verhinderte wahrscheinlich, dass die immer wiederkehrenden Konflikte, derentwegen sie in die Therapie gekommen waren, vorher schon zu einer Trennung geführt hätten.

Aber auch für ihre Kinder kann es eine Bereicherung bedeuten, wenn sie die Erfahrung machen, dass sie für ihre Eltern noch genauso wichtig sind wie vorher. Die Kinder von Hermann zum Beispiel fanden es sehr rasch ziemlich interessant, dass da nun noch ein kleines Baby war, dem gegenüber sie jetzt »die Großen« sein konnten. Das gefiel ihnen ausgesprochen gut und weckte vor allem in Anna sehr bald »mütterliche« Gefühle. Sie nahm sich der Kleinen begeistert an, wenn sie die Wochenenden in der Vater-Familie verbrachten. Dies ist für uns ein Grund, Patchwork-Paare durchaus zu ermutigen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, auch noch ein gemeinsames Kind zu haben, sich aber aus den erwähnten Gründen nicht trauen, diesen Wunsch zu realisieren.



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