Grado im Dunkeln by Nagele Andrea

Autor:Nagele, Andrea [Nagele, Andrea]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783960411901
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

16

»Warum erlaubst du mir nichts, Mama? Vertraust du mir nicht?«

Nicola kochte vor Wut. Sie packte ein Büschel ihrer roten Locken und zog daran. Jetzt mussten ihre Haare dran glauben. Es ging nicht anders. Als kleines Kind hatte sie sich vor Zorn oft auf den Boden geworfen und mit den Fäusten so lange auf das Linoleum getrommelt, bis sie das Geforderte bekam.

»Hör auf. Das bringt nichts. Du verletzt dich nur selbst und bestätigst mir, wie unreif du immer noch bist.«

»Was ist so schlimm daran, dass ich bei Emilia übernachten will? Bei Emilia, die du fast so gut kennst wie mich und mit der ich schon Sandburgen am Strand vor unserem Haus gebaut habe, als wir noch keine vier Jahre alt waren.«

»Es geht nicht um Emilia. Wir haben keine Ferien, morgen ist Schule. Und wie ich euch kenne, quatscht ihr bis zum Morgengrauen, verschlaft dann und geht erst gar nicht zum Unterricht.«

»Aber du weißt doch, wie streng Emilias Mutter ist. Die schmeißt uns aus den Betten, egal, wie viel wir geschlafen haben. Außerdem ist Emilias Cousine an unserer Schule Lehrerin. Wir würden uns gar nicht trauen, den Unterricht zu verpassen. Mama, wir müssen für den Geschichtstest lernen, und Emilia kann mir alles erklären. Sie ist viel besser als ich, schreibt nur gute Noten. Auch das weißt du.«

»Ich finde, Emilia ist kein guter Umgang für dich. Egal, was sie für Noten schreibt. Die Kleine spielt sich auf deine Kosten auf. Das war immer schon so. Sie pfeift, und du folgst ihr. Ich sehe das gar nicht gern.«

»Du bist unfair. Ich will nicht, dass du gemein über meine Freundinnen redest und urteilst, du siehst das ganz falsch. Ich kann mich zu tausend Prozent auf Emilia verlassen. Immer, in jeder Situation, sie ist die beste Freundin, die ich je hatte. Und, Mama, an jeder Freundin hast du bisher rumgemäkelt. Keine kann es dir recht machen.«

Nicola liebte ihre Eltern, doch auf ihre altmodischen Meinungen und Vorurteile konnte sie verzichten. Sie waren wirklich unverbesserliche Spießer. Was wussten die beiden schon vom Wert einer echten Freundschaft? Ihre Eltern waren seit hundert Jahren zusammen, führten eine langweilige Ehe, reisten nie weiter als bis nach Rimini und klopften dennoch große Sprüche. Ohne Emilias Beistand wäre sie in vielerlei Hinsicht aufgeschmissen. Klar, die konnte mitunter zicken, aber das konnte sie auch.

»Kind, sei nicht naiv. Emilia kann mit dir machen, was sie will. Und sie tut es auch. Bei ihr hast du keinen eigenen Willen. Hat dich außer mir noch nie jemand darauf aufmerksam gemacht?«

»Mama! Du kapierst es nicht. Ich will bei ihr schlafen, nicht umgekehrt. Emilia hat gar nichts davon. Nur ich. Ich profitiere von ihr.«

Nicola drehte eine Haarsträhne straff um ihren Zeigefinger und ließ sie dann los. Zornig beobachtete sie die rote Locke, deren spiralige Form sich langsam auflöste. Geistesabwesend nahm sie sich die nächste vor.

»Das Früchtchen manipuliert dich. Und hör auf, deine Locken zu bestrafen.«

Nicolas Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. So würde es nicht funktionieren, sie musste einen anderen Kurs einschlagen. Das kleine Teufelchen in ihrem Inneren flüsterte ihr auch schon die richtigen Sätze ein.

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