Gott ist nicht nett by Wilmer Heiner
Autor:Wilmer, Heiner [Wilmer, Heiner]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2015-08-08T16:00:00+00:00
13
Ich will meinen Namen hören
In meiner Todesstunde rufe mich.
MEINE OMA BETETE immer um eine glückselige Sterbestunde. Sie war eine alte Bäuerin. Kennengelernt habe ich sie nur als Kind. Dann verstarb sie. Aber ich habe sie noch genau vor Augen, wenn sie über das Sterben betete. Sie saß am Ende eines langen Tisches, die abgearbeiteten Hände lagen in ihrem Schoß, manchmal hielten diese Hände einen Rosenkranz aus schwarzen Perlen. Meine Oma saß mit gebeugtem Oberkörper da, den Kopf neigte sie nach vorn und etwas zur Seite, am Hinterkopf sah ich ihr langes ergrautes Haar, das sie zu einem Dutt gewickelt hatte. Es schien ihre Aufgabe zu sein, als Witwe in dem Dreigenerationenhaushalt vor und nach dem Essen zu beten. Nach jedem Abendessen betete sie um eine glückselige Sterbestunde, ein Gebet, das sie in andere Gebete eingebettet hatte, die nie zu enden schienen. Sie flehte den heiligen Josef an: »Heiliger Josef – und schenke uns allen eine glückselige Sterbestunde.« Das Wort »glückselige« betonte sie in besonderer Weise. Sie zog das erste »e« von »glückselige« so in die Länge, als müsse sie wie bei einem Musikstück mehrere Noten betonen. Gleichzeitig wackelte ihr schiefer Kopf ein wenig. Mir war nie klar, ob es ein Zittern war, oder ob sie ihrer Bitte vor Gott in besonderer Weise Nachdruck verleihen wollte, so als komme es unter allen vorgetragenen Bitten und Flehrufen gerade auf die glückselige Sterbestunde an.
Mir gruselte jedes Mal. Wieso wollte sie denn schon sterben? Warum schaute sie jeden Abend auf den Tod? Sie lebte doch noch.
Der Krankenwagen fuhr mich mit Sirene und Blaulicht durch die Bronx. Ich dachte: Das war’s. Ich werde sterben. So hatte ich mir meinen Tod auf keinen Fall vorgestellt. An der Highschool der Jesuiten in der Bronx, an der Fordham Preparatory School, hatte ich ein Jahr lang Geschichte und Deutsch unterrichtet. An einem kalten Januarmorgen wachte ich mit fürchterlichen Schmerzen im Rücken und im Lendenbereich auf. Schon am Tag zuvor hatte ich Schmerzen gespürt und gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Die Schmerzen waren derart heftig, dass ich mich nicht mal mehr im Bett drehen konnte. Ich kroch zum Telefon, rief Pater Joe Parkes an, den Rektor der Jesuitenkommunität, in der ich wohnte. Der alarmierte eine benachbarte Krankenschwester. Ich konnte nicht genau verstehen, was beide besprachen. Ich hörte die Krankenschwester nur sagen: »Es sieht ernst aus. Wenn er Glück hat, ist es ein Blinddarmdurchbruch. Eher aber schaut es nach einer Virusinfektion oder Krebs aus.« Dann ging alles sehr schnell. Der Krankenwagen kam. Die Fahrer banden mich auf einen Stuhl und trugen mich vom dritten Stock die Treppe runter. Nie werde ich das Gefühl vergessen, als mich der Krankenwagen über den holprigen Asphalt in die Notaufnahme fuhr. Ich fühlte nur meine Schmerzen und die Angst, dass es zu Ende geht. Viel schneller, als ich gedacht hatte. Wie Licht ausmachen. Aus.
Ob ich gebetet habe? Ja, zum Teil: »Herr, lass es keinen Virus und keinen Krebs sein. Lass mich das hier überleben. Lass es beim Blinddarmdurchbruch bleiben.« Mit Entsetzen musste ich an meine Eltern
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