Globalgeschichte by Conrad Sebastian

Globalgeschichte by Conrad Sebastian

Autor:Conrad, Sebastian [Conrad, Sebastian]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406645747
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2015-04-27T16:00:00+00:00


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FELDER UND THEMEN DER GLOBALGESCHICHTE

Wie fruchtbar und weiterführend die Ansätze der Globalgeschichte sind, wo aber auch ihre Grenzen liegen, erweist sich vor allem in der Praxis und am konkreten Beispiel. Nicht alle Themen eignen sich für eine solche Perspektive gleichermaßen; zugleich kann man sagen, dass es so gut wie keine Gegenstände gibt, die sich nicht auch globalgeschichtlich in den Blick nehmen lassen. Dabei hat das neue Interesse an weltumspannenden Zusammenhängen dazu geführt, dass eine Reihe von Themen wieder in den Blickpunkt geraten sind, die in den Jahrzehnten zuvor, vor allem im Zuge der kulturellen Wende innerhalb der Geschichtswissenschaft, ein Schattendasein fristeten. Dazu gehören, nach Jahren der kulturgeschichtlichen Distanz zu Ökonomie und umfassenden «Meistererzählungen», in erster Linie wirtschaftsgeschichtliche Themen sowie Fragestellungen der Makrogeschichte und der historischen Soziologie.

In der Tat gehörten Wirtschaftshistoriker zu den ersten, die globalgeschichtliche Ansätze aufnahmen. Insbesondere das Interesse an der Geschichte der Globalisierung trug dazu bei, ökonomische Fragestellungen wieder in den Fokus zu rücken; schließlich ist Globalisierung ohne Weltmarktintegration schlechterdings nicht vorstellbar.[304] Auch politikgeschichtliche Themen haben von der Globalgeschichte-Diskussion profitiert.[305] Insbesondere die Geschichte der internationalen Beziehungen hat sich rasch neu ausgerichtet, unter anderem durch Arbeiten zu internationalen Organisationen wie dem Völkerbund und anderen Foren der diplomatischen Aushandlung. Überhaupt sind der Internationalismus des späten 19. Jahrhunderts und der Zwischenkriegszeit, aber auch die Dynamik zwischenstaatlicher und supranationaler Allianzen in der Dekolonisierung und im Kalten Krieg zu präferierten Gegenständen der Untersuchung geworden.[306]

Die Kulturgeschichte hat sich in den letzten Jahren ebenfalls zu einem bevorzugten Feld der Globalhistoriker entwickelt. Dazu zählen Überlegungen zur beinahe weltweiten Aneignung – und Produktion – von Weltanschauungen und Ideologien, etwa des Liberalismus. Aber auch die Verbreitung kosmopolitischer Ideen innerhalb der islamischen Welt oder die unwahrscheinlich anmutende transnationale Koalition konservativer und nativistischer Denker in der Zwischenkriegszeit sind zum Gegenstand von Untersuchungen geworden.[307] Viele Themen lassen sich kulturgeschichtlich ausloten, auch wenn es vordergründig um Migration, einen Börsencrash oder koloniale Eroberung geht. Aber auch im engeren Feld kultureller Ausdrucksformen sind globalhistorische Ansätze wichtiger geworden. Zum einen wird danach gefragt, in welchem Maße sich in der kulturellen Produktion – in Reisebeschreibungen, in der Geschichtsschreibung, in visuellen Darstellungen, in der Populärkultur – grenzüberschreitende Interaktionen niedergeschlagen haben. Was sagen chinesische Weltkarten der Qing-Zeit, indische Miniaturen aus der Mogul-Epoche oder die Abenteuer von «Tim und Struppi» darüber aus, wie die Vernetzung der Welt jeweils angeeignet und bewältigt wurde? Diese Perspektiven führen dann, auf einer höheren Aggregationsstufe, zur Frage nach den Formen eines globalen Bewusstseins und seinen Veränderungen, ermöglicht durch die Herausbildung von Öffentlichkeiten und ihre transnationale Vernetzung.[308] Zum anderen steht zur Debatte, inwiefern kulturelle Hervorbringungen selbst Ergebnis und Produkt von Transfervorgängen gewesen sind. Zu denken ist etwa an die Ausbreitung der europäischen Oper oder die weltweite Karriere des naturalistischen Romans, aber auch an die Konjunktur japanischer Holzdrucke oder afrikanischer Plastik. Die besten solcher Untersuchungen begnügen sich nicht damit, die Transfergeschichte kulturübergreifend zu erweitern. Ihnen geht es nicht um eine Geschichte des Einflusses und der Diffusion, sondern vielmehr um die Formierung und Konstituierung kultureller Produkte unter Bedingungen globaler Interaktion.[309]

Die größte Herausforderung für einen globalgeschichtlichen Ansatz stellen bislang die klassischen Themen der Sozialgeschichte dar.



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