Geworfen by Kerry Howley

Autor:Kerry Howley [Howley, Kerry]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2016-03-10T23:00:00+00:00

Sean – Frühjahr 2011

Anfang Frühling radelte Sean flussabwärts, dann entfernte er sich vom Ufer, fuhr über verkehrsreiche Durchgangsstraßen, sandige Randstreifen und gesprungenes Eis auf Gehsteigen, bis er den gepflasterten Parkplatz seines neuesten Arbeitsplatzes erreichte: Chorus Girls. Sein Fahrrad war das einzige vor dem Stripclub, das angekettet war. »Ist das irgend so ein Trunkenheit-am-Steuer-Scheiß?«, fragte ihn ein anderer Türsteher. Es hatte nichts mit Trunkenheit am Steuer zu tun, sondern war im Gegenteil das Fahrzeug eines Mannes, der nach einem langen Rausch wieder nüchtern wurde, das Zehngangfahrrad eines Kämpfers, der wieder im Training war. Wäre besagter Türsteher ein geübter Beobachter von Menschen gewesen, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass Seans Kinn spitzer und seine Wangen straffer wurden wie eine Leinwand, die man auf einen Rahmen spannte. Und er hätte bemerkt, wie Seans Taille unter seinem Shirt langsam Form annahm.

Zehn Monate lang hatte ich auf diese körperliche Transformation gewartet, trotzdem hatte ich nie den Glauben an Seans Zukunft verloren; ich nahm an, seine Scheidung sei, wie die meisten, eine vorübergehende, destabilisierende Kraft, und ich wusste, dass er gewichtsmäßig besonders sensibel auf Störungen seines psychischen Gleichgewichts reagierte. In der Navy hatte er zwanzig Pfund abgenommen, nicht weil er übermäßig viel marschieren musste, sondern wegen eines Vorfalls, bei dem er den Befehl bekam, die Leiche eines anderen Soldaten zu bergen, der von einem Panzer überfahren worden war. Als er sie anhob, zerfiel sie in zwei Teile, und immer, wenn er sich danach zum Essen hinsetzte, wurde ihm übel, so dass er bei seiner Rückkehr nur noch hundertfünfundfünfzig Pfund wog. Neben Angst und Langweile war Übelkeit das Gefühl, das er am stärksten mit dem Krieg in Verbindung brachte, und es war ihm so zuwider, dass ich mir keine Sorgen machte, er könne sich erneut verpflichten.

Es ist eine Sache, Platzfüller für einen Kämpfer auf dem absteigenden Ast zu sein, eine ganz andere, es für einen Mann in den besten Jahren zu sein, aber für einen wiedergeborenen Kämpfer! Man kann einen ungeschlagenen Anderson Silva oder einen José Aldo haben; doch ich hatte einen Mann, der so lichterloh brannte, dass es seine Kruste zu schmelzen schien, wie ein Planet, der zu nah an die Sonne kam. Wenn er einen Raum betrat, änderten sich Stimmungen, wurden zu bloßen Werkzeugen für seinen kämpferischen Gebrauch. In Seans Augen, die sich von neuem auf die Großen Shows gerichtet hatten, waren diese nicht länger ein Schauspiel, das man sich anschaute, sondern der Ort, an dem er jeden Moment ankommen würde.

Natürlich veränderte sich auch seine Sprache. Das Brennen ließ prahlerische Worte aus seinem Mund sprudeln. »Man muss das tun, wozu man hergekommen ist«, sagte er belehrend, lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück und kraulte den Pitbull seines neuen Mitbewohners hinter den Ohren. »Ich soll in dieser Welt nichts anderes sein als ein Kämpfer. Wenn man die Chance hat, in irgendetwas der Beste der Welt zu sein und nichts dafür tut, zerfrisst es einen innerlich.« Sean lehnte sich zurück, wurde philosophisch. »Aber man hat natürlich auch eine andere Seite, und die muss sich anstrengen, um ihren Scheiß geregelt zu kriegen.

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