Gewaesch und Gewimmel by Brigitte Kronauer

Gewaesch und Gewimmel by Brigitte Kronauer

Autor:Brigitte Kronauer [Kronauer, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783608106053
Google: wq8QFdseewQC
Amazon: B00D78JQVG
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2013-10-23T22:00:00+00:00


9. Wanderung

Ich werde in den nächsten Tagen aus bestimmten Gründen möglichst viele Stunden von zu Hause wegbleiben. Gestern abend erst begleitete Sabine Herrn Hans durch den Vorgarten zur Straße. Plötzlich drückte sie ihm schnell die Hand und lief, als hätte sie einen Hilferuf aus dem Haus gehört, womöglich von mir, zurück. Hans stand noch eine Weile ganz perplex da, so, wie es nur Männer fertigbringen. Und ich? Ich sah vom oberen Treppengeländer aus, wo auch das Fensterchen zur Straße ist, daß Sabine ihn, ohne sich zu rühren, durch den Haustürspalt beobachtete. Es ist, ich ahne es schon eine Weile, etwas Neckisches im Gange im Tristanweg, und mir, mir könnte nicht wohler als hier draußen sein, ob ich mein Strohhütchen auf dem Kopf trage oder in der Hand halte.

Manchmal stecke ich mir ein Büschel Weißdornblüten unter das Band, nur so für mich. Alle Wegränder außerhalb der Schutzzone riechen jetzt danach. Was hätte wohl Anna Hornberg dazu gesagt? Vielleicht wäre ihr eine romantische Arie eingefallen, so sind die Künstler. In ein paar Wochen nehme ich Holunder oder Heckenrosen. Denn bald schlüpft der Sommer in die großen Bäume und wohnt in ihnen, sacht auf der Stelle schwankend an tausend Orten gleichzeitig. Ob es noch irgend jemanden auf der Welt so freut wie mich? Denn es freut mich bis zur Raserei, freut mich, daß ich pfeifen und schreien könnte wie die Tiere in der Luft. Aber eigenartig, warum tut es mir erst richtig gut, wenn ich dazu eine Zigarette in der Hand halte? Weil dann die Freude schwelgend ruht.

Über den geplünderten Rucksack habe ich kein Wort verloren, nur in der Nacht sind mir ein paar Tränen aus den Augen gequollen, als wäre ich bestohlen worden wie damals, in der Fußgängerzone. Ich nehme ihn allerdings auch nicht mehr mit, das wäre doch etwas zu viel Nachsicht gegenüber Sabine. Wir haben den Vorfall stumm miteinander verhandelt. Ich sage mir nämlich: Nein, eine Bevormundung ist es nicht, nur die Sorge um die unvernünftige Mutter. Den wertvollen Inhalt hat das Kind ordentlich auf meine Kommode gepackt. Dann soll er eben dort bleiben. Es war ja nur wegen der Freiheit und des Lebenssinns. Ich rege mich deshalb nicht auf, und sie, das eigentlich gute Mädchen, ist im Augenblick so sehr mit anderem beschäftigt, ist nervös und kann keinen Streit gebrauchen. Immerhin lächelt sie viel öfter als früher, ein Lächeln, das ein bißchen ungläubig ist, ein Glühen beinahe. Ich lasse mir davon nichts anmerken, aber man lächelt doch unwillkürlich zurück, selbst wenn der Gesichtsausdruck anderem gilt. Verzeihung, meine Kleine, sage ich, ohne den Mund zu bewegen, und kichere ein bißchen in mich hinein, ganz wenig ja nur.

Die Nerven flattern ihr. Finanzielle Sorgen sind es nicht, nicht neue Erinnerungen an Mirko oder Streitigkeiten im Beruf. Ein einziges Mal habe ich mir ihre Arbeitsstelle angesehen, ohne meinen Namen zu nennen. Ich konnte das machen, Sabine war an dem Tag zu einem Seminar. Die Bank ist ein riesiges Gebäude in der Innenstadt, ein Palast. Was fiel mir auf? Das Automatische, das Katzenfreundliche, das Spiegelglatte.



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