Geschichte des Westens: Die Zeit der Gegenwart by Winkler Heinrich August
Autor:Winkler, Heinrich August
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406669873
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2015-03-16T16:00:00+00:00
3.
Das Ende aller Sicherheit: 2008–2014
Die überforderte Weltmacht: Obamas Amerika
Von allen Herausforderungen, die den neuen amerikanischen Präsidenten erwarteten, war die Weltfinanzkrise die größte. Die Gefahr, daß die Welt im Gefolge der amerikanischen Bankenkrise in eine tiefe Depression, vergleichbar der nach dem Börsenkrach von 1929, abstürzen könnte, war noch längst nicht gebannt, als Barack Obama am 20. Januar 2009 in das Weiße Haus einzog. Eine Woche zuvor hatte der Präsident der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, eine Fortsetzung des «credit easing», des vermehrten Ankaufs von Staats- und Hypothekenanleihen bei extrem niedrigen Zinsen, angekündigt, das die «Fed» im Herbst 2008 begonnen hatte. Fünf Wochen später, am 17. Februar 2009, unterzeichnete Präsident Obama den American Recovery and Reinvestment Act: ein Konjunkturprogramm in Höhe von 787 Milliarden Dollar, das der Kongreß gegen den Widerstand der Republikaner beschlossen hatte. Einen Tag danach verkündete Obama ein Hilfsprogramm für Opfer der Immobilienkrise. Die Regierung stellte 175 Milliarden Dollar zur Verfügung, um verschuldete Familien vor der Zwangsversteigerung ihrer Häuser zu bewahren.
Ohne diese Maßnahmen wäre die amerikanische Volkswirtschaft im Jahre 2009 vermutlich um sehr viel mehr als die tatsächlichen 3,5 Prozent geschrumpft und die Arbeitslosigkeit um mehr als 3,5 Prozentpunkte (von 5,8 auf 9,3 Prozent) gestiegen. 2010 begann sich die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Der Dow Jones Industrial Index stieg von unter 8000 auf über 13.000 Punkte. Die Wirtschaft wuchs um 3 Prozent. Die Erwerbslosenquote aber erhöhte sich nochmals von 9,3 auf 9,6 Prozent, bevor sie 2011 auf 8,9 Prozent fiel. «Erkauft» wurde die konjunkturelle Erhöhung mit anhaltend hohen Haushaltsdefiziten: Das Minus belief sich 2009 auf 10,4, 2010 auf 10,1 und 2011 auf 8,8 Prozent. Die Staatsverschuldung stieg von 55,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2008 auf 77 Prozent im Jahr 2010. Im Februar 2013 belief sie sich auf 73 Prozent und in absoluten Zahlen auf 16,4 Billionen Dollar.
Versuche der Regierung Obama, ihre Konjunkturpolitik durch eine höhere Besteuerung der oberen Einkommensgruppen zumindest zeitweise gegenzufinanzieren, stießen auf hartnäckigen Widerstand der Republikaner, die eine schlichte Alternative propagierten: die Sanierung der Staatsfinanzen durch Senkung der Sozialausgaben. Nach den Zwischenwahlen vom November 2010, die der «Grand Old Party» eine Mehrheit im Repräsentantenhaus einbrachten, versteifte sich die Haltung der republikanischen Opposition. Erst nach langwierigen parlamentarischen Auseinandersetzungen konnte Obama Anfang August 2011 den Budget Control Act of 2011 unterzeichnen, der die Obergrenze der zulässigen Verschuldung zum zweiten Mal innerhalb von achtzehn Monaten anhob, zum Ausgleich eine Reihe von sozialen Leistungen verminderte und auf diese Weise die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit verhinderte.
Eine von vielen befürchtete Folge der lockeren Geldpolitik des Federal Reserve Board, eine fortschreitende Geldentwertung, trat nicht ein: Die Inflationsrate, die 2007 auf 4,8 Prozent gestiegen war, sank 2008 auf 0,1 Prozent; 2010 belief sie sich auf 1,6, 2011 auf 3,2 und 2012 auf 2,1 Prozent. Damit war freilich über das längerfristige Gefahrenpotential des «credit easing» oder «quantitative easing» noch nichts gesagt. Den Regierungen kam die Politik des billigen Geldes gelegen, weil die extrem niedrigen Zinssätze den Schuldendienst erleichterten und die reale Verschuldung verminderten. Die Kehrseite war unübersehbar: Die Sparer erhielten für ihre Guthaben Zinsen, die häufig unter der Inflationsrate lagen.
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