Geschichte der Russlanddeutschen by Dalos György
Autor:Dalos, György [Dalos, György]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406670183
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Deportation und Trudarmee
Am Donnerstag, dem 28. August 1941, standen die Vorposten der Wehrmacht 550 Kilometer vor Moskau. Damit hatten sie etwa zwei Drittel der Entfernung zwischen Berlin und der sowjetischen Hauptstadt zurückgelegt. Der italienische Diktator Benito Mussolini war gerade zu Gast in Adolf Hitlers geliebter Wolfsschanze in Masuren und flog von dort gemeinsam mit seinem Gastgeber in die ukrainische Stadt Uman, um die in der Nähe stationierten Einheiten des italienischen Expeditionskorps zu inspizieren – ein Propagandabesuch, der auch in der Deutschen Wochenschau präsentiert wurde. Offensichtlich wollte der Führer seinen engsten Verbündeten auch persönlich mit den deutschen Kriegserfolgen mitten im Feindesland beeindrucken. Während die beiden unterwegs aus dem Autofenster die Landschaft betrachteten, soll Hitler, auf das umliegende Grasland deutend, gesagt haben: «Schauen Sie, Duce, hier ist der fruchtbarste Boden der Welt. Ihre Italiener müssen sich drängen und steinigen Boden bearbeiten, hier aber liegen gewaltige Räume mit dieser reichen Erde. Das wird die Kornkammer des neuen Europa.»[1]
Während Hitler so das Loblied auf die ukrainische Schwarzerde sang, arbeitete Goebbels’ Propaganda-Maschinerie auf vollen Touren. Am 28. August brachte sie mit Hilfe sowjetrussischer Kollaborateure eine dem Original gespenstisch ähnlich sehende gefälschte «Prawda» in Umlauf, die den Bewohnern des okkupierten Gebiets die Unbesiegbarkeit des Dritten Reiches suggerieren sollte. Das Machwerk erschien in einer Auflage von 270.000 Exemplaren. Triumphnachrichten füllten auch die deutschen Zeitungen, obwohl gerade am 28. August der Euphemismus «rückläufige Bewegung» in den Frontberichten zum ersten Mal erschien,[2] was bereits ahnen ließ, dass der Ostfeldzug womöglich kein Spaziergang werden würde.
Am 28. August hatte die bisher größte militärische Konfrontation der Weltgeschichte gerade erst begonnen und beschränkte sich zunächst auf den alten Kontinent. In Japan wurde bereits der Angriffsplan auf Pearl Harbor ausgearbeitet, aber am 28. August schlug der japanische Premierminister Fürst Konoe Fumimaro dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt noch ein Friedenstreffen vor – ein Ansinnen, das dieser wiederum als üblen Trick ablehnte. Auch die Achsenmächte hatten es nicht eilig mit der Kriegserklärung an die USA, obwohl sie sich durchaus über die amerikanische Unterstützung der von der Wehrmacht angegriffenen Länder im Klaren waren. Die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen sollten erst noch zu einem wirklichen Weltkrieg anwachsen, der schließlich alle Erdteile in Mitleidenschaft zog.
Bereits im Juli 1941 ließen die ungarischen Behörden mit Zustimmung des Staatschefs Horthy 20.000 so genannte «staatenlosen» Juden aus der Karpatho-Ukraine und dem Norden Siebenbürgens, deren Staatsbürgerschaft als «strittig» galt, nach Galizien deportieren, das damals von ungarischen Truppen besetzt war. Offiziell hieß die Aktion «fremdenpolizeiliche Massnahme», und den Betroffenen versprach man Wohnmöglichkeiten in den leer gewordenen Häusern der vor der Wehrmacht geflohenen sowjetischen Juden. Stattdessen wurden sie in die Stadt Kamenez-Podolskij getrieben, die unter deutscher Militärhoheit stand. Die Okkupationsbehörden weigerten sich, die ausgemergelten und verzweifelten Menschen aufzunehmen, und beschlossen ihre Liquidierung. Zwischen dem 26. und 29. August organisierte die SS in der Nähe der Stadt die Erschießung von 16–18.000 Menschen – das erste Massaker an europäischen Juden mit einer fünfstelligen Opferzahl, die makabre Ouvertüre des Holocaust.[3]
Am 28. August berichtete die offizielle sowjetische Nachrichtenagentur, das «Sowinformbjuro», über einen deutschen Angriff auf das Hospitalschiff «Sibir», das verwundete Soldaten und Zivilisten aus Tallinn nach Leningrad evakuieren sollte.
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