Geschichte der Niederlande by Friso Wielenga

Autor:Friso Wielenga [Wielenga, Friso]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783159611211
veröffentlicht: 2016-06-23T12:04:17+00:00

Von der Restauration zum liberalen Jahrhundert (1813–1917)

Epochenüberblick

Nachdem die Niederlande 1813 ihre Selbständigkeit wiedererlangt hatten, kam auf dem Wiener Kongress (1814–1815) das Vereinigte Königreich zustande: Die früheren nördlichen und südlichen Niederlande wurden unter König Wilhelm I., der auch Großherzog von Luxemburg wurde, zu einem Königreich zusammengefasst. Trotz der zum Teil gelungenen Integration brach das Königreich nach dem Belgischen Aufstand von 1830 auseinander, aber es sollte noch bis 1839 dauern, bis die Niederlande die Abtrennung Belgiens akzeptieren würden. Enttäuscht und verbittert machte Wilhelm I. 1840 seinem launischen Sohn Wilhelm II. Platz, der 1848 unter anderem aus Angst vor einer Revolution einer liberalen Verfassungsänderung zustimmte. Darin wurde die Macht des Königs durch die Einführung der Ministerverantwortlichkeit eingeschränkt. Das bedeutete, dass die Minister sich nicht mehr dem König, sondern dem Parlament gegenüber zu verantworten hatten.

Allmählich entwickelten sich die Niederlande zu einem liberalen Staat. Ab den 1870er Jahren wurden politische Parteien gegründet, wobei Wahlrechtsausweitung, Sozialgesetzgebung sowie eine gleichberechtigte staatliche Finanzierung des neutralen und des christlichen Grundschulunterrichts (Schulstreit) die wichtigsten Themen waren. Diese Entwicklung mündete schließlich in die Verfassungsänderung von 1917, mit der die Niederlande durch die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts zu einer modernen parlamentarischen Demokratie wurden. Zugleich wurde auch der Schulstreit beigelegt, und man einigte sich auf eine gleichberechtigte staatliche Finanzierung des Grundschulunterrichts. Mit dieser Verfassung war ein Rahmen für die weiteren politischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert entstanden.

Charakteristisch für die wirtschaftliche Entwicklung im 19. Jahrhundert war die relativ späte und schleppende Industrialisierung. Ab 1870 traten die Niederlande in eine Phase modernen Wirtschaftswachstums mit strukturellen Veränderungen ein, wobei die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Berufstätigen ab- und die der in Handel, Industrie und Dienstleistung arbeitenden Berufstätigen zunahm. Parallel zu dieser Entwicklung gab es eine Landflucht, und so wuchsen die großen Städte in jenen Jahren dann auch kräftig. Neben dem Wachstum des Binnenmarkts war die wirtschaftliche Expansion des späten 19. Jahrhunderts eng mit den ökonomischen Entwicklungen in Deutschland verknüpft. Damals entstand zwischen beiden Ländern eine wirtschaftliche Verflechtung, die diese Beziehungen auch heute noch kennzeichnet.

International waren die Niederlande nach dem misslungenen Experiment des Vereinigten Königreichs wieder ein kleines Land mit einer bescheidenen Stellung auf dem europäischen Kontinent geworden. Um als Handelsnation und Kolonialmacht ihre Interessen in größtmöglichem Umfang wahren zu können, fuhren die Niederlande in der Außenpolitik einen neutralen Kurs, der auch im Interesse der europäischen Großmächte lag. Auch dadurch gelang es dem Land im Ersten Weltkrieg, sich abseitszuhalten, was im übrigen eine dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse am Ende des Krieges nicht verhindern konnte. Dennoch blieben große politische Erschütterungen aus, und es kamen 1917 mit der bereits genannten Verfassungsreform auf friedliche Weise politische Reformen zustande.

Schließlich zeichnete sich das 19. Jahrhundert durch einen fortschreitenden Prozess der nationalen Vereinigung aus. Nachdem die föderale Republik 1795 untergegangen und der Einheitsstaat entstanden waren, kam ein politischer und wirtschaftlicher Modernisierungsprozess in Gang, der auch die Nationenbildung beschleunigte. Dies wurde besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sichtbar, wenn auch die Frage nach dem Charakter der niederländischen Nation in liberalen, orthodox-protestantischen, katholischen und sozialdemokratischen Kreisen unterschiedlich beantwortet wurde.

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