Gesammelte Werke Arthur Schopenhauers (German Edition) by Schopenhauer Arthur
Autor:Schopenhauer, Arthur [Schopenhauer, Arthur]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783733905422
veröffentlicht: 2014-04-08T22:00:00+00:00
Kapitel 20.
Objektivation des Willens im thierischen Organismus.
Ich verstehe unter Objektivation das Sichdarstellen in der realen Körperwelt. Inzwischen ist diese selbst, wie im ersten Buch und dessen Ergänzungen ausführlich dargethan, durchaus bedingt durch das erkennende Subjekt, also den Intellekt, mithin außerhalb seiner Erkenntniß, schlechterdings als solche undenkbar: denn sie ist zunächst nur anschauliche Vorstellung und als solche Gehirnphänomen. Nach ihrer Aufhebung würde das Ding an sich übrig bleiben. Daß dieses der Wille sei, ist das Thema des zweiten Buchs, und wird daselbst zuvörderst am menschlichen und thierischen Organismus nachgewiesen.
Die Erkenntniß der Außenwelt kann auch bezeichnet werden als das Bewußtseyn anderer Dinge, im Gegensatz des Selbstbewußtseyns. Nachdem wir nun in diesem letztern den Willen als das eigentliche Objekt oder den Stoff desselben gefunden haben, werden wir jetzt, in derselben Absicht, das Bewußtseyn von andern Dingen, also die objektive Erkenntniß, in Betracht nehmen. Hier ist nun meine Thesis diese: was im Selbstbewußtseyn, also subjektiv, der Intellekt ist, das stellt im Bewußtseyn anderer Dinge, also objektiv, sich als das Gehirn dar: und was im Selbstbewußtseyn, also subjektiv, der Wille ist, das stellt im Bewußtseyn anderer Dinge, also objektiv, sich als der gesammte Organismus dar.
Zu den für diesen Satz, sowohl in unserm zweiten Buche, als in den beiden ersten Kapiteln der Abhandlung »Ueber den Willen in der Natur«, gelieferten Beweisen füge ich die folgenden Ergänzungen und Erläuterungen.
Zur Begründung des ersten Theiles jener Thesis ist das Meiste schon im vorhergehenden Kapitel beigebracht, indem an der Nothwendigkeit des Schlafes, an den Veränderungen durch das Alter, und an den Unterschieden der anatomischen Konformation nachgewiesen wurde, daß der Intellekt, als sekundärer Natur, durchgängig abhängt von einem einzelnen Organ, dem Gehirn, dessen Funktion er ist, wie das Greifen Funktion der Hand; daß er mithin physisch ist, wie die Verdauung, nicht metaphysisch, wie der Wille. Wie gute Verdauung einen gesunden, starken Magen, wie Athletenkraft muskulöse, sehnige Arme erfordert; so erfordert außerordentliche Intelligenz ein ungewöhnlich entwickeltes, schön gebautes, durch seine Textur ausgezeichnetes und durch energischen Pulsschlag belebtes Gehirn. Hingegen ist die Beschaffenheit des Willens von keinem Organ abhängig und aus keinem zu prognosticiren. Der größte Irrthum in Galls Schädellehre ist, daß er auch für moralische Eigenschaften Organe des Gehirns aufstellt. – Kopfverletzungen mit Verlust von Gehirnsubstanz wirken, in der Regel, sehr nachtheilig auf den Intellekt: sie haben gänzlichen oder theilweisen Blödsinn zur Folge, oder Vergessenheit der Sprache, auf immer oder auf eine Zeit, bisweilen jedoch von mehreren gewußten Sprachen nur einer, bisweilen wieder bloß der Eigennamen, imgleichen den Verlust anderer besessener Kenntnisse u. dgl. m. Hingegen lesen wir nie, daß nach einem Unglücksfall solcher Art der Charakter eine Veränderung erlitten hätte, daß der Mensch etwan moralisch schlechter oder besser geworden wäre, oder gewisse Neigungen oder Leidenschaften verloren, oder auch neue angenommen hätte; niemals. Denn der Wille hat seinen Sitz nicht im Gehirn, und überdies ist er, als das Metaphysische, das prius des Gehirns, wie des ganzen Leibes, daher nicht durch Verletzungen des Gehirns veränderlich. – Nach einem von Spallanzani gemachten und von Voltaire wiederholten Versuch bleibt eine Schnecke, der man den Kopf
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