Germanen Saga 4 - Die Germanen von Ravenna by Jörg Kastner
Autor:Jörg Kastner [Kastner, Jörg]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-02-28T16:00:00+00:00
Kapitel 17
Die Überraschung des Abends
Stunde um Stunde wanderte Thorag nordwärts, zumeist im Schutz von Waldungen oder Buschwerk. Er hielt sich abseits der Via Porta, weil er nicht wußte, ob die Römer die Hafenstraße nach dem Mann absuchten, der durch den Sumpf geflohen war.
An einem abgelegenen kleinen Weiher ruhte er sich aus und trank von dem klaren Wasser. Dann legte er seine Kleider ab und stieg in den Teich, um sich von Schmutz und Blut zu reinigen. Als er danach sein Spiegelbild in dem ruhigen Gewässer betrachtete, mußte er zugeben, daß er trotz aller Mühe mit seiner zerrissenen, fleckigen Tunika, dem stoppelbärtigen Gesicht und der von den Sumpfmücken zerstochenen Haut keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck machte.
Auf dem weiteren Weg war es unmöglich, sich abseits der römischen Siedlungen zu halten, wollte er nicht Tage unterwegs sein. Er kam an kleinen Landgütern vorbei und durchwanderte schließlich auch die westlichen Vororte Ravennas, ohne auf römische Streifen zu treffen. Vermutlich wußten die Römer gar nicht, ob jemandem die Flucht durch den Sumpf gelungen war. Und wenn doch, hatten sie keine Ahnung, wohin der Fliehende sich gewandt hatte.
Trotzdem blieb Thorag vorsichtig und vermied es, mit anderen Menschen in näheren Kontakt zu kommen. Auch wenn ihm die Schenken und Garküchen, an denen er mit knurrendem Magen vorbeiging, mit ihren köstlichen Gerüchen höchst verführerisch erschienen. Seit den Speckküchlein nach dem Erwachen hatte er nichts mehr gegessen, und jetzt stand Sunna schon tief im Westen. Bislang hatten die Aufregungen des Tages ihn davon abgehalten, auch nur an Hunger zu denken. Die hinter ihm liegenden Anstrengungen hatten seine Kräfte stark beansprucht, und er konnte sich kaum etwas Verlockenderes vorstellen als ein saftiges Stück Fleisch. Doch er versagte sich jeden Aufenthalt in Ravenna und beschritt die nordwärts führende Straße, auf der die Sklaven ihn vor vielen Stunden in der Sänfte getragen hatten.
Das Anwesen des Apicius tauchte vor Thorag auf, als der rotglühende Sonnenwagen hinter den westlichen Hügeln verschwinden wollte. Thorag stand auf einer kleinen Anhöhe und blickte über die Dächer von Häusern und Ställen zum nahen Meer, in dem sich die letzten Sonnenstrahlen spiegelten. Feurig schillernde Fäden, die schlangengleich über das silbriggraue Wasser zuckten und sich unter der Wellen Kraft bogen, wie Sunna sich jeden Abend der mächtigen Riesentochter Nott beugte. Aber nur, um am nächsten Morgen mit neuer Pracht zu erstehen und die Welt der Menschen wieder mit Licht und Wärme zu erfüllen. Nur wer biegsam war, konnte auf Dauer gegen übermächtige Gewalt bestehen. Aber konnte, wer sich zu sehr verbog, noch aufrechter Haltung und ehrlicher Gesinnung sein?
Thorag dachte an die Germanen von Ravenna, an die Stiersippe des Segestes. Floß noch germanisches Blut in ihren Adern? Oder schlugen ihre Herzen nicht nur aus Zwang, sondern auch aus Überzeugung für Tiberius Julius Caesar Augustus?
Zumindest Thusnelda schien sich noch nicht zu weit verbogen zu haben. Das glaubte Thorag ihrem germanischen Gewand und dem Umstand, daß Rhamis sich darüber ereifert hatte, entnehmen zu können.
Und die anderen, die unter römischem Schutz lebten, was in Wahrheit römische Herrschaft bedeutete? Waren sie sich einig in ihrer prorömischen
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